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Apotheker schlagen Alarm: Engpass bei Medikamenten im Sauerland

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Von: Stefanie Nöcker, Daniela Weber, Stefanie Schümmer

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Medikamente knapp
Das Problem der Lieferengpässe bei Arzneimitteln spitzt sich weiter zu. © Nöcker, Stefanie

Wer meint, dass mit einem Gang in die Apotheke der Bedarf an beliebigen Medikamenten wie selbstverständlich gedeckt werden kann, wird seit einiger Zeit enttäuscht: Fiebersäfte, Antibiotika, Inhalativa, Hustenmittel, aber auch Insulin und starke Schmerzmittel sind nicht immer verfügbar. Und das Problem der Lieferengpässe bei Arzneimitteln spitzt sich immer weiter zu – auch im Hochsauerlandkreis.

Bestwig - Unsere Zeitung hat bei Apothekern in Brilon und Bestwig nachgefragt, wie die aktuelle Lage ist.

Welche Medikamente fehlen?

„Zurzeit fehlen allein in unserem Warenlager über 300 Artikel. Dazu gehören neben Schmerz- und Fiebersäften sowie Antibiotika-Säfte für Kinder auch viele Erwachsenen-Medikamente wie Erkältungsprodukte, Mittel gegen trockenen Reizhusten, Cholesterinsenker, Antibiotika, Herzmedikamente, Insulin, Mittel gegen Reflux, Abführmittel, Elektrolyt-Produkte bei Durchfall, Inhalations-Mittel gegen Asthma und einige weitere“, zählt Matthias Schnepper, Apotheker und Filialleiter der Falkenapotheke in Bestwig, auf. Auch in der Apotheke im Volksbankcenter in Brilon gibt es Lieferengpässe, insbesondere bei Ibuprofen-Zäpfchen und -Saft für Kinder, bestätigt Filialleiterin Dorothee Lüke-Beule.

Wie reagieren die Apotheken auf diese Lieferengpässe?

„In Brilon arbeiten die Apotheken gut zusammen, auch wenn sie nicht den gleichen Inhaber haben“, so Dorothee Lüke-Beule. Die Apotheke im Volksbankcenter hat zudem den Vorteil, dass sie zu den Hagelueken Apotheken gehört, die noch zwei weitere Standorte in Brilon haben. Außerdem gibt es Filialen in Paderborn und Marsberg. „Durch diesen Verbund können wir im System sehen, was diese Apotheken auf Lager haben und die fehlenden Medikamente bei Bedarf austauschen“, erklärt die Apothekerin. Trotzdem sei dies sehr zeitaufwändig.

Welchen Mehraufwand bedeutet das für die Apotheker?

Einen erheblichen Mehraufwand erlebt auch das Team der Falkenapotheke: „Wir arbeiten täglich daran, dass aus Lieferengpässen bei einzelnen Medikamenten keine Versorgungsengpässe für ganze Patientengruppen entstehen. Wir fragen dazu verschiedene Großhändler an, kontaktieren die Hersteller direkt und tauschen uns mit anderen Apotheken aus. Wenn ein bestimmtes Präparat nicht verfügbar ist, können wir eventuell ein wirkstoffgleiches Medikament beschaffen oder mit dem Arzt wegen eines neuen Rezeptes für einen anderen Wirkstoff in Kontakt treten. Schließlich soll und darf kein Patient unversorgt bleiben“, so Matthias Schnepper.

Was raten die Apotheken den Patienten?

Menschen mit Dauermedikation sollten sich rechtzeitig kümmern, empfehlen die beiden Apotheker. „Das heißt, das Rezept rechtzeitig in der Arztpraxis abzuholen und in die Apotheke bringen, wenn die Arzneien noch eine Weile reichen. Dann hat die Apotheke vor Ort noch ein paar Tage Zeit, um das Medikament zu beschaffen.“

Wichtig sei allerdings: Patienten sollten ihr Medikament nie in größeren Mengen horten, denn das würde den Engpass noch verstärken.

Welche konkreten Auswirkungen haben die Lieferschwierigkeiten?

„Kunden sind stark verunsichert, erhalten häufiger als gewohnt Medikamente von anderen Herstellern, müssen höhere Zuzahlungen leisten, wenn nur Kleinpackungen verfügbar sind. Oder sie müssen ganz andere Wirkstoffe einnehmen, wenn Wirkstoffe über Monate nicht verfügbar sind“, betont Schnepper. „Im schlimmsten Fall muss die Therapie vom Arzt umgestellt werden“, ergänzt Dorothee Lüke-Beule. Lieferschwierigkeiten habe es schon immer gegeben, weiß auch Andreas Vogd, Vorsitzender der Bezirksgruppe Hochsauerland im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL): „Obwohl das Management solcher Engpässe seit Jahren zum Apothekenalltag gehört, haben selbst Kolleginnen und Kollegen, die bereits seit Jahrzehnten im Beruf stehen, eine derart schwierige Lage noch nicht erlebt.“

Woher kommen die Lieferschwierigkeiten?

Als Gründe für die aktuelle Situation macht Andreas Vogd die bürokratischen Regelungen und komplexen Vorgaben, die die Krankenkassen den Apotheken machten, unkomplizierte Lösungen verhinderten und damit die Situation weiter verschärften, aus. „Aktuell hat nahezu jede Krankenkasse ihre eigenen Regeln, welche von Engpässen betroffenen Arzneimittel zügig ohne Genehmigung importiert werden können und für welche Medikamente etwaige Mehrkosten übernommen werden. Dabei variieren von Kasse zu Kasse die Formalien, die die Apotheken erfüllen müssen.“ Bei annähernd 100 gesetzlichen Krankenkassen sei es für die Apotheken jedoch unmöglich, hier den Überblick zu behalten und den verschiedenen Anforderungen nachzukommen. „Wie soll das gehen?“, fragt Vogd, „wenn die Patienten regelrecht die Apotheken stürmen. Wir sind am Limit.“

Wie wird es in den kommenden Monaten weitergehen?

„Der Bundesgesundheitsminister hat versprochen, den Mangel insbesondere bei Kinder-Arzneimitteln schnell zu beheben“, informiert Matthias Schnepper. „Am Dienstag wurde bekannt, dass ab Februar für drei Monate die Krankenkassen höhere Preise bei Kinder-Arzneimitteln zahlen sollen. Ob dies ausreichen wird, dass Firmen langfristig mehr Ware für Deutschland produzieren, ist sehr ungewiss. Wir gehen daher davon aus, dass uns Lieferengpässe bei vielen Arzneimitteln auch das ganze Jahr über stark fordern werden.“

Diese Lösungen fordert der Apothekerverband 

Neben kurzfristigen Erste-Hilfe-Maßnahmen gegen die Lieferengpässe muss das Problem auch langfristig in den Griff bekommen werden, so der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Das sind seine Forderungen:

1. Die Produktion von Wirkstoffen und Arzneimitteln muss unter hohen Umweltschutz- und Sozialstandards wieder verstärkt in der EU stattfinden.

2. Exporte von versorgungsrelevanten Arzneimitteln sollten bei Lieferengpässen beschränkt werden können.

3. Den Kassen sind Mehrfachvergaben von Rabattverträgen mit mehreren Wirkstoffherstellern vorzuschreiben.

4. Nicht zuletzt muss das aufwendige Krisenmanagement der Lieferengpässe den Apotheken durch die Kassen vergütet werden.

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