Brilon sucht verzweifelt nach Ärzten - das unternimmt die Stadt

Das Thema Ärztemangel ist nicht nur in Brilon omnipräsent. Doch durch mehrere Todesfälle bei praktizierenden Medizinern in den letzten Monaten hat Brilon derzeit ein Problemfeld, dass so extrem und kurzfristig nicht vorhersehbar war.
Update, 27. März, 16.50 Uhr: Wenn auch die negativen Nachrichten aus dem Bereich der stationären und ambulanten Versorgung in der Vergangenheit leider oft überwiegen, gibt es jetzt Grund zur Freude. So ist es der MVZ GmbH in Brilon gelungen, für die Hausarzt-Praxis in der Schulstraße, die seit einem Jahr erfolgreich von dem Arzt Frank Wagener geführt wird, einen weiteren Arzt einzustellen.
Ab sofort können sich die Patienten der Praxis über die ärztliche Expertise von Dr. med. Gerhard Vormann freuen. Dr. Vormann ist dabei sicher für viele kein Unbekannter, hat er doch über viele Jahre in Olsberg eine internistische Hausarztpraxis geführt und war dort über 30 Jahre lang erfolgreich in der hausärztlichen Versorgung tätig. Nach seinem Studium der Humanmedizin in Münster und Aachen approbierte er 1978 als Arzt und promovierte 1982 zum Doktor der Medizin.
Dr. Vormann wird nun mit einer Teilzeitstelle von 50 Prozent als echte Bereicherung der Praxis in der Schulstraße sowohl von dem ärztlichen Kollegen Frank Wagener und dem dortigen Team der Arzthelferinnen als auch von den vielen Patienten wahrgenommen, die gerade im Bereich von Brilon eine hausärztliche Unterversorgung feststellen.
„Durch die gradlinige, professionelle und unkomplizierte Art von Dr. Vormann“, so MVZ-Geschäftsführer Ludger Weber, „waren wir schnell über die Mitarbeit einig und sind sehr froh, dass wir die Kompetenz und Erfahrung von Dr. Vormann für unsere Praxis in der Schulstraße gewinnen konnten. Der Zulassungsausschuss der Kassenärztlichen Vereinigung hat der Anstellung von Dr. Vormann bereits in seiner Sitzung am 9. Februar zugestimmt, so dass er schon jetzt mit in der Praxis in der Schulstraße tätig ist.“
[Erstmeldung] Brilon – Was jetzt teilweise durch die sozialen Medien geht, übersteigt so manches Mal eine Toleranzgrenze. Die Schuldzuweisungen gehen sogar so weit, dass die Verwaltung sowie der Bürgermeister persönlich angegriffen werden, dass sie nichts, auch ohne die tragischen Umstände, unternommen hätten. Eine Unterstellung, die emotional vielleicht nachvollziehbar erscheint, aber an der Realität völlig vorbei geht, wehrt sich die Stadt Brilon. Schon seit Jahren wird seitens der Stadt viel unternommen, doch letztendlich entscheiden die Ärzte selber, ob und wo sie sich niederlassen: Ob als Arzt in einem Krankenhaus, als angestellter Arzt beispielsweise in einem Medizinischen Versorgungszentrum, kurz MVZ, in einer Gemeinschaftspraxis oder mit einer eigenen Haus- oder Facharztpraxis. Und der große „Casus knacksus“, ob sie eben Arzt in einem Ballungszentrum oder auf dem flachen Land werden möchten.
„Wir spüren natürlich eine Zuständigkeit, auch wenn dies keine originäre Verpflichtung für uns ist“, hebt Bürgermeister Dr. Christof Bartsch hervor. „Wir versuchen passende Rahmenbedingungen anzubieten, doch die Sicherstellung der Ärzteversorgung obliegt der Kassenärztlichen Vereinigung. Schon seit 2016 ist die sich anbahnende Gefahr einer medizinischen Unterversorgung regelmäßig ein Thema bei uns im Rat und der Verwaltung. Dazu wurden Maßnahmen ergriffen, die auch Erfolge im Ergebnis hatten. Wenn aber beispielsweise ein junger Arzt, der gewonnen werden konnte, plötzlich verstirbt, so ist das mehr als tragisch.“
Viele Aktionen gibt es bereits
Mit vielen Aktionen an Universitäten, mit der Maßnahme „Komm aufs Land.Arzt“ und Werbung für Brilon sollen neue Ärzte gewonnen werden, verbunden mit der Hoffnung, dass sich Netzwerke bilden, die Brilon dann auch für weitere Mediziner erstrebenswert machen. Es gibt finanzielle Angebote ohne Rückzahlungsverpflichtung, Angebote für Teilzeitstellen und vieles mehr. „Die Work-Live-Balance die wir bieten, ist schon optimal hier in Brilon“, so Bürgermeister Dr. Bartsch. „Denn letztendlich entscheidet auch der Partner oder die ganze Familie, wo der Lebensmittelpunkt sein soll.“
„Der Markt ist einfach leer“
Dass gute Ideen und Angebote vorhanden sind, ist eine Sache. Aber die Bereitschaft beziehungsweise die Entscheidung, sich in Brilon als Mediziner niederzulassen, treffen die Ärzte letztendlich selbst. Dazu erklärt Ludger Weber, Verwaltungs- und Personalleiter im Briloner Krankenhaus Maria Hilf: „Wir haben über 100 Ärzte angeschrieben, über das MVZ eine Stelle in Brilon zu übernehmen. Es erscheint unglaublich, aber die Resonanz war gleich Null. Der Markt ist einfach leer. Wer eine gute Stelle hat, ist eben schwer zu überzeugen. Selbst die Angebote über das MVZ wie geregelte Arbeitszeiten ohne Schichten wie im Krankenhaus, mit Unterstützung im Verwaltungsbereich, vorhandene Praxisräume mit erfahrenen Mitarbeiterinnen und Patientenstamm, all dass ist nicht von dem Erfolg gekrönt den wir dringend brauchen.“
Notlösung für Patienten ohne Hausarzt
Eine Antwort auf die vielen Kommentare in den sozialen Medien lautete sehr treffend: „Ärzte wachsen nicht im Rathauskeller nach.“ Deshalb ist es um so erfreulicher, wenn durch die vielen Anstrengungen seitens der Stadt auch in kleinen Schritten die derzeitigen Probleme abgefedert werden können. Dr. Gerhard Vormann hat sich als Ruheständler aus Bigge-Olsberg über das MVZ bereit erklärt, noch stundenweise eine medizinische Versorgung in der Praxis des verstorbenen Dr. Michael Reiß anzubieten. „Erstmal als vorübergehende Ausweichlösung für die Patienten, die derzeit keinen Hausarzt haben“, erklärt Bianca Funke, die gemeinsam mit ihren Kollegen Clemens Mund und Andrea Wind die Maßnahmen der Stadtverwaltung zur Ärztegewinnung unterstützt: „Wichtig zu wissen ist, dass es ja auch die Hausärztliche Notfallpraxis gibt.“ (siehe Kasten) Diese können aufgrund der derzeitigen Situation jetzt auch längere Krankschreibungen oder größere Verpackungseinheiten als bisher erlaubt ausstellen beziehungsweise verordnen. Aber alles ist eben nur eine Notlösung, die der derzeitigen Situation geschuldet ist.
Hausärztlicher Notdienst
Der Hausärztliche Notdienst ist in Brilon wie folgt erreichbar:
Telefon: 02961/9781799
Dienstzeiten: Montag, Dienstag, Donnerstag von 18 bis 22 Uhr, Mittwoch und Freitag von 13 bis 22 Uhr, Samstag und Sonntag 8 bis 22 Uhr
Arztentlastende Versorgungsassistentin
Neue Wege müssen beschritten werden. „Es gibt nur wenige Kommunen, die so viel in den letzten Jahren unternommen haben“, erklärt Ludger Weber: „Wir haben derzeit eine medizinische Fachangestellte in der EVA-Ausbildung, die als arztentlastende Versorgungsassistentin Maßnahmen durchführen kann, für die bisher nur ein Arzt die Befugnis hat. Die Ausbildung dauert ein Jahr. Es ist uns klar, dass auch dies nur eine Zwischenlösung ist, die aber zumindest hilft.“
Ärzte mittleren Alters
Dann führt der Krankenhausfachmann weiter an: „Ein weiterer Schritt ist, sich auch um Ärzte mittleren Alters zu bemühen, die vielleicht auch schon 40 Jahre alt sind und jetzt den Schritt zu einer eigenen Praxis überlegen.“
Dann wird Ludger Weber sehr ernst: „Wir haben massive Beschwerden seitens medizinischer Fachangestellten in den Arztpraxen, die berichten, dass sie massiv verbal angegangen werden, wenn nicht sofort eine Lösung gefunden werden kann. Die Mitarbeiterinnen leisten derzeit Schwerstarbeit und können persönlich nichts dafür, dass es so ist, wie es in der derzeitigen Situation ist. Deshalb meine Bitte: Lassen Sie ihren Frust nicht an den medizinsichen Fachangestellten aus. Sie machen einen guten, aber derzeit sehr schweren Job.“
Kontakt mit Studenten aus Brilon
Wie es verwaltungsseitig mit Maßnahmen weitergeht, erklärt Clemens Mund: „Auch mit dem Auslaufen des Förderprogramms ,Komm aufs Land.Arzt’ Ende des Monats, werden wir trotzdem intensiv weiter aktiv bleiben. Ein Beispiel ist der Kontakt mit Menschen aus Brilon, die derzeit Medizin studieren.“ Dazu ergänzt Bianca Funke: „Wir laden zu Terminen ein, die den potenziellen neuen Ärzten passen. Zu diesen Terminen holen wir alle Beteiligten mit ins Boot, die zu einem Gelingen beitragen können. Neben dem Bürgemeister halten wir zu diesen Terminen Kontakt zu entsprechenden Ärzten oder den Vermietern der vakanten Praxen. Eine Vorgehensweise, die von allen Seiten als sehr positiv angesehen wird. Man muss natürlich auch den Vorstellungen der Mediziner nachgehen. Manchmal sind die Einrichtungen der vorhandenen Praxen schlichtweg zu alt oder die Räumlichkeiten zu klein. Auf all das muss eingegangen und nach Lösungen gesucht werden. Wir lassen aber auch Zeit und Möglichkeit, dass vertrauliche Gespräche zwischen den Briloner Ärzten oder Vermietern geführt werden können.“
So hilft die Stadt neuen Ärzten
Aber auch die weichen Faktoren spielen eine Rolle. „Wir zeigen Brilon, bieten Hilfe bei einer Wohnungssuche oder Jobsuche für den Partner. Angepasst auf den jeweils Eingeladenen stellen wir entsprechend der Bedürfnisse Freizeitangebote wie das Freibad, Kitas und die verschiedenen Schulangebote, die Brilon bietet, vor. Zudem bietet das Industriegebiet entsprechenden Beschäftigungsmöglichkeiten, zum Beispiel als Betriebsarzt. Und wir klären offene Frage. Wir setzen immer rund vier Stunden für eine solche Kennenlernaktion, in der Regel mit einem Essen, für die Eingeladenen an. Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) ist mit Kandidaten im Gespräch – die Aktion ,Komm aufs Land.Arzt’ wird so weitergeführt.“ Dann erklärt Bianca Funke weiter: „Parallel dazu suchen wir eigenständig weiter Verbindungen zu Unis, die Mediziner ausbilden, um Kontakte zu knüpfen und im besten Falle Netzwerke zu gründen. LocalHero-Uni Witten-Herdecke ist eines der Projekte. Überall suchen wir Gespräche direkt mit den Studenten. Keine kurzfristige Lösung, aber eine Aktion für die Zukunft.“
Dann bringt es der Bürgermeister noch einmal auf den Punkt: „Wir müssen uns in dem Rahmen bewegen, der uns gegeben ist. Wir arbeiten an Lösungen. Auch wenn am Ende des Tunnels kleine Lichter erkennbar sind, haben wir derzeit so kurzfristig keine zeitnahe Lösung.“
Wie schwierig es zurzeit ist, einen Hausarzt zu finden - und das für eine vierköpfige Familie, zeigt das Beispiel von der Almerin Julia Schönewolf.