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Windkraftanlage statt Vogelschutzgebiet? Bürgerinitiative schreibt offenen Brief an Landrat

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Von: Silke Nieder

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Elisabeth Henne zeigt den offenen Brief kurz vor Einwurf in den Briefkasten des Kreishauses in Meschede.
Elisabeth Henne zeigt den offenen Brief kurz vor Einwurf in den Briefkasten des Kreishauses in Meschede. © Privat

Auf Initiative der Bürgerinitiative Gegenwind aus Scharfenberg (SB-Gegenwind) haben mehr als 70 Scharfenberger in einem offenen Brief eine Einladung an den Landrat unterschrieben. Es geht um ein geplantes Windrad in unmittelbarer Nähe des Naturschutzgebietes Goldbachtal, südlich von Scharfenberg.

Scharfenberg – Sie hoffen bei Landrat Dr. Karl Schneider auf offene Ohren zu stoßen, indem er sich vor Ort davon überzeugt, dass diese geplante Windkraftanlage an einer kritischen Stelle errichtet werden soll. Denn viele Argumente sprächen gegen die Windkraftanlage „Aufm Wieen“.

Was bisher geschah

Drei Investoren planen ein Windrad auf dem letzten verbliebenen freien Stück des Höhenzuges zwischen Brilon-Wülfte und Altenbüren (Aufm Wieen). Das Gebiet war nicht im Flächennutzungsplan der Stadt als Vorrangzone für Windenergieanlagen (WEA) vorgesehen. Die Bange-Mertens-Tertesse Energie GbR (BMT) klagte vor dem Oberverwaltungsgericht gegen die Festlegung der Vorrangzonen und gewann den Prozess. Daher konnten sie nun auch für dieses Grundstück eine Windenergieanlage beantragen. Einer Genehmigung stand eigentlich nichts mehr im Wege – außer den Einwendungen der Scharfenberger. „Das Oberverwaltungsgericht Münster findet derzeit in nahezu jedem Flächennutzungsplan ‚ein Haar in der Suppe’ und macht ihn ungültig. Da stellt sich die Frage, ob das Oberverwaltungsgericht Münster nicht inzwischen Artikel 28 Absatz 2 GG aushebelt. Dort wird den Gemeinden das kommunale Selbstverwaltungsrecht garantiert“, schildert Elisabeth Henne von der SB-Gegenwind gegenüber dem SauerlandKurier ihre Situation. Henne gehört eine Fläche im Naturschutzgebiet, ist also direkt betroffen.

Aus für die Anlage?

Doch jetzt kommt es: Nach gewissenhafter Prüfung der Ergebnisse des Vereins für Natur- und Vogelschutz im HSK (VNV) durch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) wurde die Gebietskulisse des faktischen Vogelschutzgebietes Diemel- und Hoppecketal kartiert. Auf der Homepage des VNV ist nachzulesen, dass die Voraussetzungen für ein Vogelschutzgebiet bereits 2004 erfüllt waren. Die von der BMT beantragte Windkraftanlage hätte sich in diesem Gebiet befunden und das hätte das Aus für die Anlage bedeutet. In Scharfenberg sorgte diese Nachricht für ein deutliches Aufatmen.

Die Fläche, die aus dem faktischen Vogelschutzgebiet gestrichen wurde, mit Einzeichnung des potenziellen Windrades.
Die Fläche, die aus dem faktischen Vogelschutzgebiet gestrichen wurde, mit Einzeichnung des potenziellen Windrades. © SB-Gegenwind

Vogelschutzgebiet plötzlich geändert

Doch plötzlich kam alles anders. Anfang dieses Jahres erfolgte durch das LANUV eine erneute Offenlegung einer deutlich veränderten Gebietskulisse. Ein Teil des faktischen Vogelschutzgebietes, das gerade in trockenen Sommern nicht nur dem Rotmilan und Schwarzstorch eine ergiebige Futterquelle bietet, war aus der Kulisse gestrichen worden. Gründe für diese Änderung hat bislang niemand erfahren. Selbst Anfragen der Stadt Brilon blieben vom Kreis unbeantwortet (SauerlandKurier berichtete). „Wo sind die schützenswerten Vögel geblieben? Wann haben VNV und LANUV nicht ganz korrekt gearbeitet – bei der Kartierung der ursprünglichen Gebietskulisse oder deren Änderung?“, fragt Henne im Namen der SB-Gegenwind.

Ein Blick auf die Karte mit der geänderten Gebietskulisse macht einen seltsamen Eindruck. „Mir kommt es vor, als sei die von der BMT benötigte Fläche mit einem Skalpell aus der Gebietskulisse herausgeschnitten worden“, so Henne weiter. Gegen die Änderung der Gebietskulisse wurden im neu eröffneten Anhörungsverfahren Bedenken vorgetragen und liegen der Bezirksregierung Arnsberg vor. „Jetzt wäre es logisch, dass der Hochsauerlandkreis die Einwendungen der Gebietskulisse abwartet, bevor er über die Genehmigung der Windkraftanlage entscheidet“, meint die SB-Gegenwind.

Artenschutz spielt keine Rolle?

Im Rahmen eines Erörterungstermins am 9. März, von welchem nur einige der fast 300 Einwender über das Amtsblatt des Kreises erfuhren, erläuterte die Kreisverwaltung, dass Windkraft nun im überragenden öffentlichen Interesse liege und der öffentlichen Sicherheit diene. Die zu erwartenden zusätzlichen Belästigungen vieler Scharfenberger Familien seien völlig grundgesetzkonform und Landschafts- und Artenschutz würden keine große Rolle mehr spielen. So ging es auch aus dem damaligen Urteil hervor: Die Belange von Natur- und Landschaftsschutzgebieten seien bei der Festlegung der Windvorrangzonen überbewertet worden.

Windenergieanlage vorzeitig genehmigt?

Aus informierten Kreisen hat die SB-Gegenwind jetzt erfahren, dass die Windenergieanlage in den nächsten Tagen vom HSK genehmigt werden soll. Doch Paul Höller, Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie NRW, sieht das deutlich anders. In einem Schreiben vom 21. April 2023 teilte er mit: „(...) Gleichwohl erfordert der Bau und der Betrieb von Windkraftanlagen auch mit Blick auf mögliche Auswirkungen auf Arten und Habitate eine besondere Sensibilität, sodass der Windausbau im Einklang mit dem Natur- und Artenschutz gewährleistet werden kann. Es sind damit bei allen geplanten Vorhaben die Vorgaben des Arten- und Naturschutzrechtes umfassend zu berücksichtigen. (...)“ Dazu passt die mögliche im Ruckzuck-Verfahren geplante Genehmigung der Windkraftanlage durch den HSK eher nicht.

Einladung an Dr. Karl Schneider

Die SB-Gegenwind wandte sich in der vergangenen Woche mit einem offenen Brief an Landrat Dr. Karl Schneider und hofft, dass der HSK die sorgfältige Prüfung der Einwendungen abwartet, bevor er über die Genehmigung der Windkraftanlage entscheidet. Die SB-Gegenwind hofft, dem Landrat, der das Goldbachtal vermutlich nur aus den Akten kennt, vor Ort zeigen zu können, welche Gefährdung von der nur circa 80 Meter vom Goldbachtal entfernten Windenergieanlage für das Naturschutzgebiet ausgehen kann.

Aktuell sind in Scharfenberg sehr viele Fragen offen. Erst gerade jetzt wurde bekannt, dass in dem betroffenen Gebiet eine archäologisch bedeutsame Wüstung vermutet wird. Besonders enttäuscht zeigt sich Henne jedoch vom Vorgehen der Antragsteller. Sie sagt gegenüber dem SauerlandKurier: „Man muss wohl ziemlich gewissenlos gegenüber seinem eigenen Dorf sein, wenn erklärtes Lebensziel eines der Antragsteller nach eigenem Bekunden sei, einer ‚der ganz Großen’ zu werden.“

Vorgeschichte

Nach der Antragstellung der Bange-Mertens-Tertesse Energie GbR (BMT) vor mehr als drei Jahren erhielt Bürgermeister Dr. Christof Bartsch rund 225 Einwendungenüberreicht von der SB-Gegenwind. Einwendungen bezogen sich auf die Abstandsgrenze zur Wohnbebauung, die Nähe zum Naturschutzgebiet Goldbachtal, dem Quellgebiet der Möhne, bedeutende Rotmilan- und streng geschützte Mopsfledermaus-Vorkommen. Auch liege die geplante Windenergieanlage außerhalb der von der Stadt festgelegten Konzentrationszone. Konzentrationszonen sollten eine Verspargelung der Flächen mit Windkraftanlagen vermeiden. Zuvor hatte die BMT jedoch den von der Stadt verabschiedeten Flächennutzungsplan vom OVG Münster Anfang 2020 kippen lassen, sodass sie jetzt das Windrad „Aufm Wieen“ bauen können, wie auch das Windrad auf der Sonder, welches nur 650 Meter von der geschlossenen Wohnbebauung entfernt liegt. Im Flächennutzungsplan war ein Mindestabstand von 950 Metern zur Wohnbebauung vorgesehen.

Die drei Windräder Auf`m Hühnerfeld und in den Höltern, entlang des Soestweges zwischen Scharfenberg und Rixen, wurden im Einvernehmen mit der Stadt Brilon und den Bürgern von Scharfenberg und Rixen, von der „Bürgerwindpark Scharfenberg-Rixen GmbH & Co. KG.“ im Jahr 2017 errichtet. Die drei Windräder befinden sich in der, von der Stadt Brilon geplanten Windvorrangzone.

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