Das Schwierigste sei jedoch, seiner Familie und Freunden für unbestimmte Zeit „auf Wiedersehen“ zu sagen. „Ich kann mich gut erinnern, wie ich auf meiner Abschiedsfeier immer wieder mit dem Gedanken gespielt habe, diesen Schritt nicht zu gehen und einfach zu Hause zu bleiben, umgeben von den Menschen, die ich liebe und so sehr in mein Herz geschlossen habe“, berichtet die 23-Jährige von dem emotionalen Abschied. Am Abreisetag habe sie sich am Bahnhof in Kassel mit Tränen in den Augen und viel zu viel Gepäck verabschiedet. „Die ganze Zugfahrt habe ich ein Taschentuch nach dem anderen gebraucht und mir sind so viele Gedanken durch den Kopf geschossen: Was ist, wenn das alles nicht das Richtige ist? Was ist, wenn mir bewusst wird, dass alleine reisen überhaupt nichts für mich ist? Was ist, wenn ich mit meinem gebrochenen Englisch nicht weiterkomme? Was ist, wenn.. Ängste eben. Genau diese Ängste, die man empfindet, wenn man etwas Neues ausprobiert.“ Ihre Familie und Freunde hätten ihr viele dieser Ängste genommen und ihr immer wieder positiv zugesprochen. „Ich würde alles genauso wieder machen, denn diese Erfahrungen, die ich sammeln darf, waren all die Tränen definitiv wert“, ist ihr Fazit im Nachhinein.
Mittlerweile war Michelle Kloke schon in Tansania, Sansibar, Südafrika, Namibia, Panama, Kolumbien und Ecuador. Vor ein paar Wochen ist sie mit einem Freund auf die Galapagos-Inseln gezogen. Vorher hat sie knapp 2 1/2 Monate in Peru gelebt. Auf unzählige Jobs und noch mehr Erlebnisse kann die Marsbergerin nach so kurzer Zeit zurückblicken. „Da ich mit einem sehr geringen Budget reise, habe ich unendlich viele Erfahrungen sammeln und mich an die Lebensweise der Locals anpassen können.“
Eines der schönsten Erlebnisse war für sie bisher die „Tauchausbildung“ und dadurch die Möglichkeit von Nachttauchgängen zu bekommen. „Ich erinnere mich gut an einen meiner letzten Nachttauchgänge, bei dem wir unsere Taschenlampen ausgemacht haben und lauter Mikrolebewesen sahen – in den hellsten und atemberaubendsten Farben und Formen. Ein magischer Moment. Ich bin im wahrsten Sinne in eine Welt eingetaucht, die ich niemals für möglich gehalten habe.“
Aber auch weitere Erlebnisse werden ihr für immer im Gedächtnis bleiben: Den Sonnenaufgang aus dem Autodachzelt in Namibias Wüste zu sehen. Eine Giraffe direkt neben dem Auto, ein Elefant, der genüsslich etwas isst, neben dem Zelt. Das erste Mal auf einem Surfboard stehen in Südafrika. Pinguine am Strand zu beobachten. Unzählige Lagerfeuer am Strand, Schildkröten beim Paddelboarding beobachten zu dürfen, einen stundenlangen Paarungsversuch von Löwen zu beobachten, Silvester am menschenleeren Strand zu verbringen, neu kennengelernten Menschen bei Umzügen zu helfen und bei Einweihungspartys dabei sein zu dürfen („ist mir tatsächlich dreimal in drei unterschiedlichen Ländern passiert“). Mit einer völlig fremden Person ein Auto zu mieten, um zwei Wochen lang die Gardenroute in Südafrika abzufahren. Mit Delfinen im wirklich offenem Meer ohne jegliche Touristen zu schwimmen. Glühwein mit einem Gasbrenner in der Wüste zu kochen („nachts wird es unglaublich kalt, auch wenn man es nicht glaubt“). Einen Vulkan auf 5.500 Meter zu erklimmen. Im Titicacasee zu schwimmen. Eines der sieben Weltwunder, „den magischsten Ort, den ich jemals gesehen habe“, zu besuchen – den Machu Picchu. Mitten in Namibias Wüste ein Kinderhilfsprojekt beim Aufbau eines Trampolins und Pools zu unterstützen. „Ich könnte die Liste noch unendlich lang weiter führen“, schwärmt die Weltenbummlerin. „Ich kann selbst gar nicht fassen, was ich alles erleben durfte und bin einfach mehr als nur dankbar für jede einzelne Situation, die mir ermöglicht wurde.“
Alleine zu reisen hat jedoch auch seine Schattenseiten. So musste sie auch negative Erfahrungen machen. „Eine Truppe von Männern hat mich nachts verfolgt, kam ständig näher, hatte versucht mich zu bedrängen“, erinnert sie sich. „Bis eine andere Truppe hinzukam und mich nach Hause begleitete. Die Situation hätte sichtlich schlimmer ausgehen können, dessen bin ich mir sehr bewusst.“
Außerdem hatte sie einen Autounfall in Südafrika, wo zum Glück niemand verletzt wurde. „Und in Tansania ist ein ,dalah dalah’ (ein großer Bulli vollgepackt mit viel zu vielen Menschen, bis zu 23 Leute, ich weiß es scheint unmöglich, ist es aber nicht) mitten bei der Fahrt zusammengebrochen. Auch hier wurde niemand ernsthaft verletzt.“
Diesen Erlebnissen kann sie auch etwas Positives abgewinnen: „Je mehr man auf sich allein gestellt ist, je mehr Erfahrungen man macht, desto lockerer sieht man einige Dinge. So geht es mir zumindest, und ich finde, egal wie negativ die Situation war, man kann aus jeder Situation etwas lernen und mitnehmen. Es ist immer eine Sache des Perspektivwechsels, wie wir die Situation betrachten und was wir aus ihr machen.“
Allerdings hatte sie im Vorfeld mit einer Sache nicht gerechnet: Dass ihr all die Abschiede, die man von Menschen nehmen muss, sobald man den Ort wieder wechselt, so schwerfallen: „Da ich relativ langsam reise, oft in einem Land anfange zu arbeiten und für mehrere Monate dort bleibe, um die Kultur und Sichtweise der Menschen kennenzulernen und zu verstehen, baut man sich eine Art Familie auf. Man fühlt sich Zuhause und es ist jedes Mal unglaublich schwer ,auf Wiedersehen’ zu sagen.“
Und kennengelernt hat die Marsbergerin schon einiges – vor allem durch unterschiedliche Jobs: Als Rezeptionistin, Webdesignerin, Hausmeisterin und natürlich Krankenpflegerin hat sie meistens für Unterkunft und Verpflegung gearbeitet. Anfängliche Sprachbarrieren wurden beseitigt. „Mit Englisch habe ich keinerlei Probleme mehr. In Afrika sprechen jedoch nur wenige Menschen englisch. Also blieb mir keine andere Wahl als Swahili (Ostafrika) zu lernen. In der Tauchschule habe ich vier Monate mit 99 Prozent Locals gearbeitet. Diese haben sich jedoch Geduld und Zeit genommen, mir die Sprache so gut es eben ging, beizubringen. In Südamerika sprechen überraschender Weise noch weniger Leute englisch als in Afrika. Also blieb mir auch hier keine andere Wahl, als Spanisch zu lernen. Diesmal fällt es mir etwas schwieriger als mit Englisch oder Swahili, da je nach Land ganz anders gesprochen wird und auch der Akzent sich sehr stark unterscheidet von Land zu Land.“
Am bewegendsten war die Tätigkeit für verschiedene Hilfsprojekte in Afrika. „In meinen drei Monaten, die ich dort gearbeitet habe, konnte ich mehr als zwölf Projekte kennenlernen und dort aushelfen. Ob Schulen, Kindergärten, Tierheime, eine Schneiderei, um Medikamente für HIV-Positive finanzieren zu können, Tagesstätten für geistig und körperlich eingeschränkte Kinder – diese Erfahrungen, diese Geschichten, Perspektiven und Möglichkeiten kennenzulernen, war wirklich einer der Momente, wo sich ein ganz anderes Verständnis von Glück und materialistischen Dingen in meinem Kopf ausgebreitet hat. Meine Zeit dort und in Afrika generell war definitiv einer dieser lebensverändernden Momente in meinem bisherigen Leben.“
Eine endgültige Rückkehr nach Deutschland kann sich die Marsbergerin momentan noch gar nicht vorstellen. „Ich möchte die Vielfalt der Welt entdecken und am liebsten jeden Tag etwas Neues lernen“, sagt sie und kann sich vorstellen, zu einem späteren Zeitpunkt einen eigenen Camper auszubauen und damit durch Europa zu touren.
Menschen, die ebenfalls den Traum haben, die Welt kennenzulernen, gibt sie auf den Weg: „Wenn man etwas wirklich möchte, von ganzem Herzen, egal wie viel Ängste und Arbeit dahinter steckt, dann wird man es schaffen. Für so eine Entscheidung gibt es keinen passenden Zeitpunkt. Für so einen Schritt ist man niemals richtig bereit. Es wird weh tun und Tränen kosten. Aber es ist all das wert.“
Weitere Eindrücke sind auf dem YouTube-Kanal von Michelle Kloke „ichnehmdichmit“ unter https://www.youtube.com/channel/UCnmF1137k2-D9Gu59_Fak-g zu finden.