„Die Lieferengpässe betreffen die ganze Bandbreite“, sagt Martin Sternberg, Apotheker der St.-Valentin-Apotheke in Schmallenberg im Gespräch mit dem SauerlandKurier. „Fiebersäfte für Kinder bekommen wir beispielsweise nur sporadisch.“
Anstatt Patienten wegschicken zu müssen, versuchen die Apotheken, ein gleichwertiges Präparat aus der gleichen Wirkstoffklasse zu finden. Hierfür muss mit dem behandelnden Arzt, der die Verordnung ausgestellt hat, Rücksprache gehalten werden.
„Bei bestimmten Wirkstoffen sollten Patienten am besten frühzeitig mit dem Arzt oder der Apotheke sprechen, so dass etwas Alternatives genommen werden kann“, rät Sternberg. Er und sein Team versuchen über zwei feste Großhändler, über verschiedene Kooperationen und Direktbestellung bei den Herstellern an die Medikamente zu kommen. „Das alles bedeutet einen enormen Mehraufwand durch unzählige Telefonate mit Herstellern, Patienten und Ärzten“, unterstreicht der Apotheker. Insgesamt bestehe sehr viel Aufklärungsbedarf bei den Patienten.
Um auf die Misere zu reagieren, stellen einige Apotheken auch selbst Arzneimittel in bestimmten Darreichungsformen her. „Das geht aber nur, wenn die potenziellen Wirkstoffe und entsprechenden Gefäße lieferbar sind“, erklärt Sternberg. Genau bei den Wirkstoffen liege jedoch das Problem: Diese seien schwer zu bekommen. „Hier helfen sich die Apotheken, indem sie zum Beispiel Paracetamol-Tabletten pulverisieren und in Saftform nach Vorschriften der Apothekenverordnung selbst herstellen. Die eigene Herstellung ist aber sehr aufwendig. Auch die Gefäße sind Mangelware.“
Dass es derzeit einen so extremen Engpass an Arzneimitteln gibt, habe vielerlei Gründe, weiß Jens Asmus, Inhaber der Kurapotheke und Marktapotheke in Winterberg. Ein Stichwort: der Kostendruck im Gesundheitswesen. Um die Herstellungskosten zu senken, lassen Pharmaunternehmen die Wirkstoffe oft ausschließlich in wenigen Betrieben in Ländern wie Indien oder China produzieren. „Steht die Produktion zeitweilig still oder wird eine Charge aus Qualitätsgründen nicht freigegeben, können auch große Hersteller in Europa ihre Fertigarzneimittel nicht liefern“, erläutert Asmus. Hinzu kämen die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg. „Durch die Krisen werden auch die globalen Produktionsstätten und Lieferketten beeinträchtigt.“
Auch Rabattverträge können Ursache von Lieferschwierigkeiten sein, so Jens Asmus weiter. Krankenkassen können Preisnachlässe mit Produzenten vereinbaren und so Kosten senken. Dann erstatten sie nur das Medikament dieses Herstellers und erhalten dafür im Gegenzug Rabatt. Die Folge: Die Konkurrenz mit dem gleichen Medikament schränkt ihr Angebot ein.
Fest stehe, dass es all diese Probleme schon länger gebe. „Aber ich bin mittlerweile 40 Jahre im Beruf und so schlimm wie jetzt war die Lage noch nie“, betont Asmus.
Das bestätigt auch Andreas Vogd, Vorsitzender der Bezirksgruppe Hochsauerland im Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL): „Obwohl das Management solcher Engpässe seit Jahren zum Apothekenalltag gehört, haben selbst Kolleginnen und Kollegen, die bereits seit Jahrzehnten im Beruf stehen, eine derart schwierige Lage noch nicht erlebt.“
Besonders ärgerlich sei, dass bürokratische Regelungen und komplexe Vorgaben, die die Krankenkassen den Apotheken machten, unkomplizierte Lösungen verhinderten und damit die Situation weiter verschärften. „Aktuell hat nahezu jede Krankenkasse ihre eigenen Regeln, welche von Engpässen betroffenen Arzneimittel zügig ohne Genehmigung importiert werden können und für welche Medikamente etwaige Mehrkosten übernommen werden. Dabei variieren von Kasse zu Kasse die Formalien, die die Apotheken erfüllen müssen.“
Bei annähernd 100 gesetzlichen Krankenkassen sei es für die Apotheken jedoch unmöglich, hier den Überblick zu behalten und den verschiedenen Anforderungen nachzukommen. „Wie soll das gehen?“, fragt Vogd, „wenn die Patienten regelrecht die Apotheken stürmen. Wir sind am Limit.“
So lange wir uns von anderen Ländern abhängig machen, wird es in den nächsten Jahren nicht besser werden.
Und nun die alles entscheidende Frage: Wie wird es weiter gehen? Sternberg: „Das ist ein Blick in die Glaskugel. So lange wir uns von anderen Ländern abhängig machen, wird es in den nächsten Jahren nicht besser werden.“
Neben kurzfristigen Erste-Hilfe-Maßnahmen gegen die Lieferengpässe muss das Problem auch langfristig in den Griff bekommen werden, so der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL). Das sind seine Forderungen: