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Wenig Hoffnung auf sinkende Gaspreise: Versorgungssicherheit im Gespräch

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Von: Kristin Sens

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Merz CDU
Friedrich Merz erörterte Fragen der Versorgungssicherheit mit CDU-Mittelstandsvereinigung. © Tobias Koch

Seit Russland die Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt hat, wächst auch bei uns die Angst vor einem Lieferstopp, denn noch wird ein Großteil des deutschen Erdgasbedarfs von Russland gedeckt. In einer Online-Konferenz erörterte die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) die aktuelle Lage. Daran beteiligten sich der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz sowie Vertreter der Firma Tilia, einem auf Energiewirtschaft spezialisierten Beratungsunternehmen aus Leipzig.

Hochsauerland - Stephan Werthschulte, MIT-Kreisvorsitzender und Geschäftsführer bei Tilia, erklärte, dass es für die Unternehmen nicht einfach sei, sich auf ein drohendes Embargo vorzubereiten. Das Thema ist komplex, zumal Deutschland eingebunden ist in die Entscheidungen der Europäischen Union.

Deutschlands Abhängigkeit

„Wir haben eine völlig veränderte globale Lage, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird“, machte Friedrich Merz das Ausmaß dessen, was gerade in der Ukraine geschieht, deutlich. Der Angriff Russlands und sein imperialistischer Versuch, die Grenzen zu verändern, ist ein „Paradigmenwechsel“, so der CDU-Vorsitzende. „Wer noch die geringsten Zweifel an Putins Absichten hat, möge dessen Presseäußerungen der letzten Tage hören“, sagte Merz nachdrücklich. Darin bezog Putin sich auf das zaristische Russland von Peter dem Großen.

Wir haben eine völlig veränderte globale Lage, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

Die Bundesregierung sei allerdings dabei, „historische Fehler“ zu machen, die Deutschland „noch teuer zu stehen kommen“ werde. Bei der Notwendigkeit, sich so schnell wie möglich von den russischen Energielieferungen unabhängig zu machen, sah er sich noch auf einer Linie mit der Regierungskoalition. „Wir müssen damit rechnen, dass Russlands Abhängen vom Gas uns eines Tages auch betrifft“, sagte Merz in dem Gespräch am Montag – nur wenige Tage später drosselte Russland tatsächlich die Gaslieferung.

Zwar ist es inzwischen gelungen, den russischen Gasanteil am Gesamtverbrauch von 55 Prozent auf 35 Prozent zu reduzieren, aber das hänge unter anderem auch mit dem Sommer zusammen, wo naturgemäß weniger bis gar nicht geheizt werden muss. In der Industrie sieht es anders aus, hier wird Gas weiterhin benötigt. Die Industrie versuche derzeit, Energie einzusparen, aber ganz ohne werde es nicht gehen.

Situation am Gasmarkt

„Wir wollen keine Sanktionen die uns mehr schaden als Putin“, erklärte Merz. Beim Versuch, Russland dazu zu bekommen, den Krieg zu beenden, seien sie zwar ein hilfreiches Druckmittel, aber ohne militärische Hilfe für die Ukraine werde es nicht funktionieren. Hier wurde Merz in seiner Kritik an die Bundesregierung deutlich: „Der Ukraine fehlt die Artillerie. Die hat sie nicht und die bekommt sie zurzeit auch nicht.“ Seit Wochen habe es kein Update im Hinblick darauf gegeben, was Deutschland liefere. Merz folgerte daraus, dass die Regierung sich nicht an das halte, was vereinbart und gemeinsam im Parlament beschlossen worden ist. „Wir liefern nicht“, so sein Fazit.

Florian Heinecke, Senior Manager bei Tilia, skizzierte anhand einiger Charts die aktuelle Situation auf den Gasmarkt. Das jahrelang stabile Preisniveau sei bereits im Sommer des Vorjahres verlassen worden, angeheizt durch die Diskussionen um Nord Stream 2. Nach Beginn des Krieges seien die vorweihnachtlichen Preisspitzen nochmals „gerissen“ worden. Momentan sei der Preis auf einem hohen Niveau stabil, allerdings weiterhin „volatil“, so der Energieexperte.

Sich auf eine Studie der Uni Köln beziehend, machte Heinecke deutlich, dass ein Embargo im Mai, wie es teilweise öffentlich gefordert wurde, die Wirtschaft massiv getroffen hätte – ohne eine unmittelbare Auswirkung auf des Kriegsgeschehen zu haben.

Alternativen für die Zukunft

Um Alternativen zum russischen Gas zu entwickeln, ist man im Gespräch mit den Niederlanden und Norwegen. Eine mittelfristige Perspektive ist der Bau von Flüssiggas-Terminals. Kurzfristig helfe es, mobile LNG-Terminals einzusetzen. „Dann wären wir im nächsten Jahr deutlich besser aufgestellt, um ein Embargo durchzuführen“, so der Energieexperte. Bis 2026 könne man russisches Pipelinegas vollständig durch LNG aus anderen Quellen substituiert haben.

Sinkende Preise sind in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, denn die Nachfrage ist weltweit gestiegen. Zudem seien die Verflüssigung, der Transport und die Rückumwandlung von Gas kostenintensiver. „Pipelinegas ist immer klar im Vorteil“, so Heinecke. Eine Rückkehr zum alten Preisniveau wird es daher so schnell nicht geben.

Im Anschluss erläuterte Heinecke einige Handlungsempfehlungen für die Unternehmen, wie die stärkere Bevorratung alternativer Brennstoffe und eine schnellere Effizienzsteigerung. Zudem müssten die Unternehmen Rücklagen bilden, um Preisschwankungen abzupuffern.

Gefragt, ob das Wirtschaftsministerium genug tue um die Energieversorgung sicherzustellen, antwortete Merz, dass er davon ausgehe, dass es Versorgungsengpässe geben wird, sollte man frühzeitig aus dem Gas raus müssen. Genehmigungsverfahren seien zu kompliziert und aufwändig, die Frage nach der Grundlastfähigkeit völlig unbeantwortet. Er kritisierte das Tabu der Grünen beim Thema Atomenergie.

Verbrennerverbot ab 2035

Werthschulte äußerte Zweifel an dem von der EU geforderten Verbrennerverbot ab 2035: „Die Richtung passt, aber ich mache mir Sorgen, wo die Technik herkommt. Die Ambitionslevel stehen in keinem Verhältnis zu den Fähigkeiten die wir haben.“ Merz sagte dazu: „Ich halte die EU-Entscheidung für völlig irre.“

Abschließend mahnte der Parteivorsitzende, China nicht aus dem Blick zu verlieren, denn auch hier gebe es Spannungen. Daher gelte es, mit China ebenfalls die Abhängigkeiten zu reduzieren, die noch viel größer als von Russland seien. Bisher sehe er in Deutschland in dieser Frage eine „große Zögerlichkeit“.

Ein generelles Ende der Globalisierung werde es nicht geben, aber es gelte, sich neu auszurichten, mehr Handel mit freien und demokratischen Staaten und weniger mit autoritären Systemen.

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