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Nein sagen mit "Lucy"

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In den Ferien sind es etwas weniger Mädchen, die den Bus zum Spielen, Klönen und für ungestörte Gespräche aufsuchen. Dafür geht es etwas entspannter zu, haben Sozialpädagogin Andrea Kohl (rechts) und Praktikantin Stefanie Koch beobachtet.  Foto: Kristin Sens
In den Ferien sind es etwas weniger Mädchen, die den Bus zum Spielen, Klönen und für ungestörte Gespräche aufsuchen. Dafür geht es etwas entspannter zu, haben Sozialpädagogin Andrea Kohl (rechts) und Praktikantin Stefanie Koch beobachtet. Foto: Kristin Sens

"Das ist total toll hier", sagt die elfjährige Lara – und die anderen Mädchen pflichten ihr bei. "Und wir lernen was dabei", ergänzt die zwölfjährige Josefine. Lernen? Und noch dazu in den Ferien? Wenn Jugendliche das freiwillig tun, dann muss das an der Umgebung liegen – und die ist wirklich etwas Besonderes: Die sechs Mädchen befinden sich im Mädchenbus Nordhessen, der am Donnerstag in Usseln Station machte.

Der Mädchenbus ist ein europaweit einzigartiges Projekt, um Mädchen im ländlichen Raum zu erreichen, Präventivarbeit zu leisten und Kinder und Jugendlichen in einer Notlage Hilfe anzubieten. Denn auch auf dem Land sind Mädchen mit verschiedenen Formen von Gewalt konfrontiert: sexuelle oder körperliche Übergriffe, Vernachlässigung zuhause, auf der Straße oder in der Schule. "Wir wollen Mädchen und junge Frauen frühzeitig und vor allem nachhaltig in ihrer Persönlichkeitsentwicklung stärken und ihnen bei Problemen konkret helfen, oder kompetente Hilfe vermitteln", erklärt die Sozialpädagogin Andrea Kohl die Ziele von Mädchenbus Nordhessen.

Die beiderseitige Annäherung erfolgt dabei spielerisch. Geschicklichkeitsspiele und Gesellschafttsspiele stehen zur Auswahl. Über Rollenspiele zu verschiedenen Themen – an diesem Tag steht das "Nein-Sagen" im Mittelpunkt – setzen sich die Mädchen mit verschiedenen Facetten ihres Alltags auseinander. "Wenn hier Beratungsstelle dran stünde, würde keiner kommen", ist Andrea Kohl überzeugt. "Das ist das kleine Geheimnis unserer erfolgreichen Arbeit", fügt sie hinzu.

Bibliothek, Computer, Kochstelle

Bei entsprechendem Wetter wird auch draußen vor dem Bus gespielt: Pedalos, ein Einrad oder Stelzen liegen bereit. Im Bus gibt es neben zwei gemütlichen Sitzecken eine Bibliothek, PC-Arbeitsplätze und eine Kochstelle. Heizung und WC sind auch "an Bord".

"Die Erwachsenen denken sich tolle Sachen aus und hier sind Bücher oder Internet", schwärmt Lara. Die Mädchen genießen vor allem den "jungenfreien" Raum. "Die kümmern sich gut um uns und wir machen hier Sachen, die wir sonst nicht machen", ergänzt Nora, ebenfalls elf Jahre. Die Mitarbeiterinnen steuern den mittlerweile 39 Jahre alten Bus selbst – jeder Ausfall ist eine mittlere Katastrophe. Dann müssen sie auf feste Räumlichkeiten ausweichen, aber das ist nicht das Gleiche. Der Bus schafft eine ganz eigene, intime Atmosphäre. Lucy und Lotta, zwei von mehreren Handpuppen, helfen dabei, Gefühle und Gedanken auszudrücken.

Seit 15 Jahren tourt der Bus mit zwei bis drei Betreuerinnen durch Nordhessen, von Bad Karlshafen bis nach Frankenberg – von der Schwalm bis ins Upland. "Wir versuchen zwei-, dreimal im Jahr in jedem Ort zu sein", erklärt Andrea Kohl, die von Anfang an dabei ist. An die fünftausend Mädchen haben das Angebot bisher genutzt. Zunächst öffnet der Bus für die acht- bis zwölfjährigen Mädchen seine Türen, danach sind die Älteren dran. Im Schnitt besuchen 15 bis 20 Mädchen pro Gruppe den Bus.

Die Idee zum Mädchenbus hatten Luise Schröder und Hannes Schrebe. Der erste Bus fuhr 1998. Die ersten Jahre wurde er als Pilotprojekt vom Land gefördert.

Bangen um Finanzierung

Seit dem Ende der öffentlichen Finanzierung vor neun Jahren bangen die engagierten Jugendhelfer von Jahr zu Jahr, ob sie genug Mittel für die kommende Saison zusammenbekommen – und verzichten auch mal auf Teile ihres Einkommens. Immerhin müssen sie 95 Prozent selbst einwerben, fünf Prozent tragen die Kommunen bei. Mit Landrat Dr. Reinhard Kubat, der Schriftstellerin Cornelia Funke oder der Hamburger Liselotte-Stiftung haben sie prominente Fürsprecher.

Der 1995 gegründete, gemeinnützige Trägerverein hat seinen Sitz in Kassel und ist von der Jugendhilfe und dem paritätischen Wohlfahrtsverband anerkannt. Er hofft, irgendwann einmal als öffentliche Pflichtaufgabe angesehen zu werden. Dafür waren die Mitarbeiter auch schon in Berlin vorstellig.

Im Winter legt der Bus eine Ruhepause ein. Die Beraterinnen sind aber durchgängig für die Mädchen telefonisch oder über das Internet erreichbar. Viele der Jugendlichen begleiten sie dabei über Jahre hinweg.

"Der Bus ist klein, aber geräumig und praktisch, weil man ihn überall hin mitnehmen kann", fassen die Mädchen aus Usseln die Vorzüge zusammen.

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