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Viele Medikamente im Kreis Olpe kaum noch zu bekommen - „System völlig in Schieflage“

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Von: Andrea Vollmert, Christine Kluge

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Apotheker Dr. Lukas Peiffer hat täglich mit dem Medikamenten-Engpass zu kämpfen. „Wenn jetzt nicht ganz schnell produziert wird, dann gehen wir alle mit leeren Lagern in die nächste Grippewelle.“
Apotheker Dr. Lukas Peiffer hat täglich mit dem Medikamenten-Engpass zu kämpfen. „Wenn jetzt nicht ganz schnell produziert wird, dann gehen wir alle mit leeren Lagern in die nächste Grippewelle.“ © Andrea Vollmert

Wer ein Medikament benötigt, braucht immer häufiger Glück. Viele Präparate sind nicht mehr lieferbar - insbesondere für Kinder. Zwei Apotheker sprechen Klartext.

Kinderärzte in Deutschland und sogar ganz Europa schlagen bereits Alarm. „Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich“, heißt es in einem aktuellen Schreiben von europäischen Kinderärzten an die Gesundheitsminister. Noch vor wenigen Jahren sei das unvorstellbar gewesen.

Dass die Problematik auch direkt vor der Haustür zu spüren ist, zeigt eine Rundfrage des SauerlandKurier. Wie Apotheker, Kinderärzte und Mütter die Situation bewerten – und wie sie damit umgehen.

Apotheker Dr. Lukas Peiffer von der Löwen Apotheke in Attendorn kennt die Folgen der Engpässe nur zu gut. „Wir haben uns Gott sei Dank einen Vorrat bei vielen Medikamenten angelegt. Davon können wir derzeit noch zehren“, so der Apotheker. „Trotzdem passiert es oft, dass benötigte Medikamente schlicht nicht zu haben sind – und das im ganzen Kreis Olpe, in ganz Deutschland.“

Er sieht mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: „Wenn jetzt nicht ganz schnell produziert wird, dann gehen wir alle mit leeren Lagern in die nächste Grippewelle. Das ganze System ist völlig in Schieflage geraten.“

Nicht nur Medikamente für Kinder sind derzeit auf dem Markt schlicht nicht zu kaufen, auch Blutdrucksenker und viele andere dringend benötigte Medikamente für Erwachsene werden immer knapper – dazu gehören auch Krebsmedikamente. „Das liegt an der Geiz-ist-geil-Mentalität der Krankenkassen. Durch die Rabattverträge wurden die Hersteller immer weiter geknebelt und haben alles outgesourct. Die Produktion wurde nach China oder Indien verlagert und seit Corona gibt es da weniger Exporte.“

Er ist pessimistisch: „Im Moment sehe ich kein Licht am Ende des Tunnels. Mir fehlt die Akutlösung“, so der Attendorner. Selbst wenn jetzt sofort in Deutschland produziert werden könnte, würde es Monate dauern, bis der Mangel behoben wäre. Hinzu kommt ein weiterer Engpass: Sind die Wirkstoffe verfügbar, gibt es häufig keine Blister, keine Braunglasflaschen oder andere Verpackungen. Die Apotheker müssen viel Zeit aufwänden, um Kunden versorgen zu können. Es werden Zäpfchen gegossen, Tabletten hergestellt, um aus dem vorhandenen Material die Dosierung zu erstellen, die gerade benötigt wird.

„Ich faxe einmal pro Woche eine Liste der verfügbaren Medikamente an die Kinderärzte, damit die sich bei den Rezepten schon daran halten können.“ Aber das Problem wird immer größer. „Uns fehlen derzeit etwa 350 Artikel, die wir sonst immer verfügbar hatten. Und das geht allen Kollegen so.“ Dr. Lukas Peiffer erzählt sogar von Kollegen, die Angst vor ihrem nächsten Notdienst hatten, weil sie weinenden Eltern und Kindern nicht helfen konnten.

Apotheker und Vorsitzender der Bezirksgruppe Olpe des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, Ulf Ullenboom, unterstreicht diese Aussagen im Gespräch mit dem SauerlandKurier. Er erklärt, dass die Medikamentenknappheit zurzeit jeden treffen kann, „egal ob Antibiotikasäfte für Kinder oder Blutdrucksenker für Erwachsene – bei jedem zweiten Rezept gibt es Probleme mit der Lieferbarkeit“. Der Ursprung dieser Engpässe sehe er in den massiven Kosteneinsparungen vor rund 15 Jahren, die dazu führten, dass ein Großteil der Medikamente nur noch in Asien produziert würden. „Geht dann etwas schief, treten Qualitätsmängel auf, können wir nur mit den Schultern zucken. Und das, was dann noch lieferbar ist, wird eher in Länder geliefert, die die Preise nicht derartig drücken wie Deutschland“, erklärt Ullenboom weiter.

Kinder seien besonders betroffen, da die „Darreichungsform ein ‘Nadelöhr’ für die Versorgung sei. Ein einjähriges Kind sei auf beispielsweise Säfte angewiesen, könne keine Tabletten schlucken. Aber was tun, wenn das gebrauchte Medikament zurzeit nicht lieferbar ist? „Die Teams in den Apotheken tun alles, um das Medikament doch noch zu besorgen, ggf. aus dem Ausland zu importieren. Das jedoch ist mit viel Bürokratie und Arbeitsaufwand verbunden. Genau wie die Suche nach lieferbaren Alternativen.“

Ulf Ullenboom erklärt, dass manche Kinderärzte, zuvor in der Apotheke anrufen würden, um nachzufragen, ob ein bestimmtes Medikament lieferbar sei, bevor sie das Rezept ausstellen. Darüberhinaus gibt es den Tipp, dass auch die Hausapotheke einen kleinen Vorrat von dringend benötigten Medikamenten enthalten solle. „Man sollte nicht warten, bis die Packung leer ist.“

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