Enzo, der Bürgermeister und der Freundeskreis Pirpirituba

Bürgermeister Tobias Puspas und seine Frau Birgit haben zwei gesunde Kinder! Und weil dem so ist, konnte einem siebenjährigen Bub aus Brasilien wieder ein Leben auf seinen eigenen zwei Beinen geschenkt werden.
Lennestadt - Man kann vermuten, dass Tobias Puspas seinen Kinder in diesem Jahr keine Weihnachtsgeschichte vorliest. Er erzählt sie uns lieber allen: „Als unsere älteste Tochter Jana vor sieben Jahren gesund auf die Welt gekommen war, wollten wir etwas Gutes tun. Durch meinen Vater war ich bereits seit Anfang der 1990-er Jahre Mitglied im Altenhundemer Freundeskreis Pirpirituba. So beschlossen meine Frau Birgit und ich im Jahr 2015, die Patenschaft für ein Kind in Brasilien zu übernehmen und dieses finanziell zu unterstützen. Ziel der Unterstützung ist insbesondere die Bildung des Kindes zu ermöglichen. Wir entschieden uns für Enzo, der genauso alt ist wie Jana.“
Ende 2020 erfuhr die Familie, dass Enzo unter einer Fehlbildung seiner Beine und Füße leidet, offenbar ausgehend von seinen nicht richtig entwickelten Hüften. Ein Thema, das ihnen gegenüber nie angesprochen worden war. Möglicherweise hatte man Angst, die deutschen Paten könnten die Unterstützung eines Kindes ohne Zukunft nicht mehr wollen. Möglich auch, dass ihnen die Familie aus Scham davon nichts gesagt hat.
Nach vielen Investitionen in Bauwerke (unter anderem Bau von zwei Kindergärten), Besuchen im Drei-Jahres-Rhythmus, wollte sich der Freundeskreis im Jahr 2020 persönlich der gesundheitlichen Versorgung von Enzo annehmen. Die Pandemie erschwerte die persönlichen Kontakte nach Pirpirituba. Der Verein ließ nicht locker. Irgendwie sollte es schon gelingen. Aber wo sollten die Mittel für die teure Operation von Enzo herkommen?
Zunächst wurde der Junge ganz in der Nähe von Pirpirituba einem Arzt vorgestellt und untersucht. Ergebnis: Eine Operation würde einen mittleren fünfstelligen Eurobetrag kosten. Außerdem sei Enzo bereits zu groß für einen Eingriff, der eigentlich im Säuglingsalter hätte durchgeführt werden müssen. Gab es Spezialisten, die sich eine Operation vorstellen könnten? Schon möglich, aber sicher nicht im Nordosten Brasiliens!
Im Rahmen der Jahreshauptversammlung im Oktober 2021 beschloss der Verein, zu einer besonderen Spendenaktion aufzurufen. Die weitreichenden Netzwerke der Vereinsmitglieder wurden bemüht.

Gerd Kitscha, Mitglied im Vorstand des Vereins, gab zeitgleich im Rahmen einer Berichterstattung in der katholischen Zeitschrift „Der Dom“ auch ein Foto von Enzo hinzu. Eine Entscheidung, die durch merkwürdige Zufälle etwas auslöste, womit niemand rechnen konnte …
Denn kurz darauf klingelte eines Sonntagmorgens bei Peter Berkenkopf (Kassierer im Freundeskreis) das Telefon. Eine Frau aus Gütersloh stellte sich vor und erzählte, dass sie das Foto von Enzo im „Dom“ gesehen habe. Der traurige Blick des Jungen ließe sie nicht mehr los. Sie bot ihre Hilfe an.
Es folgten Telefonate mit dem Vorsitzenden Franz Rotter – und eben mit Puspas als Paten von Enzo. Alle Beteiligten wussten nicht, wer die Spenderin aus Gütersloh war. Erst später erfuhr man: Dr. Karin Zinkann, Ehefrau von Dr. Peter Zinkann. Dieser wiederum ist Enkel des Firmengründers und Miteigentümer der Firma Miele. Das war der Anfang einer gemeinsamen Aktion, die die Beteiligten immer noch unglaublich finden.
Ab diesem Zeitpunkt suchte Frau Dr. Zinkann nach weiteren Kontakten, die vor Ort in Brasilien helfen konnten. Von Geschäftskollegen, bis hin zu einem ehemaligen deutschen Generalkonsul von Paraíba führte sie Gespräche – und sagte weiter ihre finanzielle Unterstützung zu.
Kurz vor Weihnachten 2021 hatte sie Dr. Hans-Toni Junius, Gesellschafter von CD Waelzholz aus Hagen, zu Gast und sprach ihn auf sein Brasilien-Geschäft an. CD Waelzholz ist ein weltweit agierendes Kaltwalzwerk. Dr. Junius bot die Unterstützung durch den Direktor von CD Waelzholz Brasilien am Standort São Paulo an. Pascal Erlmann, gebürtiger Hagener, lebt seit einigen Jahren mit Familie in Brasilien und führt dort das Stahlgeschäft. Das Problem: Pirpirituba und São Paulo liegen 2800 Kilometer voneinander entfernt.
Über die neuen Kontakte fanden sich schnell mehrere Orthopädie-Spezialisten in Brasilien. Per Videokonferenz aus einer örtlichen Orthopäden-Praxis wurde der kleine Patient den Spezialisten in São Paulo vorgestellt. Eine Ferndiagnose im Zeitalter der Digitalisierung ...
Dr. Alexandre Francisco de Lourenço, Spezialist für Orthopädie am Albert-Einstein-Hospital São Paulo, hielt eine Operation von Enzo trotz des fortgeschrittenen Lebensalters für möglich. Diagnose, Operationsplan, Behandlungsplan und Therapiemöglichkeiten folgten seiner Zusage, Enzo in Sao Paolo zu operieren.
Voraussetzung war, dass Enzo, zusammen mit einer vertrauten Begleitung für viele Monate nach São Paulo ziehen würde. Pascal Erlmann bereitete zusammen mit seinen Mitarbeitenden alles vor: Unterbringung, Betreuung, Physiotherapie, alles in seiner Nähe und unter seiner Aufsicht. Zusammen mit seiner Tante trat Enzo seine erste lange Reise an. Anfang Juni 2022 ging es vom Flughafen in João Pessoa (110 Kilometer entfernt von Pirpirituba) nach São Paulo. Enzo wurde an beiden Beinen, beiden Füßen und beiden Hüften operiert. Die erzielten Ergebnisse waren gut. Es folgte die direkte Betreuung durch den Operateur, begleitet durch Therapiemaßnahmen nach strenger Planung der Fachärzte.
Gut vier Monate vergingen – ein Wechselbad der Gefühle. Von Vorfreude, über Angst, gepaart mit neuen Erfahrungen und Schmerzen, kam zwischendurch auch mal Heimweh auf. Enzo hielt durch und konnte schlussendlich zurück in seine Heimat fliegen. In Absprache mit Dr. de Lourenço wird die Physiotherapie nun in der Nähe von Pirpirituba fortgesetzt. So ist Enzo inzwischen in der Lage, mit Hilfsmitteln zu laufen und seine Beine daran zu gewöhnen, ihn durch sein Leben zu tragen.
Tobias Puspas: „Wenn es noch einer Definition des Begriffs ,Nächstenliebe’ bedarf, so bin ich der Meinung, dass diese unglaubliche Geschichte dafür genommen werden kann. Hohes ehrenamtliches Engagement durch unseren örtlichen Freundeskreis Pirpirituba. Mut, etwas Gutes zu tun – und darüber zu sprechen, zu berichten. So entstand dieses wunderbare – nachahmenswerte – Netzwerk. Herzlichen Dank allen Beteiligten – auch im Namen unseres Patenkindes Enzo.“