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Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal zeigt Bilder von Paula Modersohn-Becker bis Zanele Muholi

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Von: Achim Lettmann

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Das Gemälde „Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut“ malte Paula Modersohn-Becker um 1904, zu sehen in der Ausstellung „Fremde sind wir uns selbst“ im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum.
Tiefer Blick in die Augen. Das Gemälde „Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut“ malte Paula Modersohn-Becker um 1904, zu sehen in der Ausstellung „Fremde sind wir uns selbst“ im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum. © von-der-Heydt-Museum

Seit dem 15. Jahrhundert ist dem Menschen sein Selbstbild wichtig. Im Von-der-Heydt-Museum Wuppertal bietet die Ausstellung „Fremde sind wir uns selbst“ noch einen aktuellen politischen Aspekt

Wuppertal – Das Mädchen, das Paula Modersohn-Becker gemalt hat, schaut uns mit ihren blauen Augen direkt an. Ein Blick, der vereinnahmt. Der schlichte Hut, die Landschaft im Bildhintergrund und die Malweise grüßen aus einer vergangenen Zeit. Modersohn-Becker fragte 1904 nach der menschlichen Identität mit moderner Porträtkunst. Wer das Bild anschaut, ist von eigenen Gedanken erfüllt und spürt die Aura des Kunstwerks – ein intimer Moment des Betrachtens. Ein Grund mehr, ins Museum zu gehen, um das Original zu erleben.

Das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum präsentiert mit einer Ausstellung die Strategien, die die Porträtkunst ausmachen. 42 Gemälde, 50 Fotos und acht Zeichnungen reichen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Jahr 2017 in unsere Zeit. Seit dem 15. Jahrhundert interessiert sich der Mensch für sein Selbstbild. In der Renaissance erlebte das Porträt eine neue Bedeutung. Der Einzelne, auch im Gegensatz zu Kirche und Monarchie, war im Porträtbild mehr, als ihm gesellschaftlich zustand.

Der Titel der Wuppertaler Schau „Fremde sind wir uns selbst. Bildnisse von Paula Modersohn-Becker bis Zanele Muholi“ erweitert die kunsthistorische Porträtschau um eine aktuelle politische Position. Seit 2021 besitzt das Wuppertaler Museum sechs Fotoporträts von Zanele Muholi als Dauerleihgabe. Die Künstlerin (50) aus Südafrika bezeichnet sich als visuelle Aktivistin und non-binäre Person. Sie fühlt sich weder als Mann noch als Frau. Und Muholi gibt mit ihrer Kunst der LGBTQIA-Community in Afrika mehr Selbstbewusstsein. Sie fotografiert beispielsweise die Wunden und Narben, die in Südafrika schwarzen Menschen aufgrund ihrer Querness zugefügt wurden. Sie gründete das Forum for the Empowerment of Woman (FEW) 2002, eine Organisation für schwarze homosexuelle und queere Personen in Johannisburg. Seit 2013 ist sie Honorarprofessorin an der Bremer Hochschule für Künste.

Kuratorin Anna Storm und Museumsdirektor Roland Mönig haben fünf Themenräume eingerichtet. Zu den „Formen der Inszenierung“ im Raum eins gehört Zanele Muholis Fotografie „Sebenzile, Parktown“ (2016). Helle Industrieschläuche sind um ihren Kopf und Oberkörper gelegt. Ihre Lippen schimmern weißlich. Ihre dunkle Hautfarbe führt dazu, dass sie im Schwarzweißfoto als Fotomotiv kaum heraussticht. Persönliche Konturen sind schwer erkennbar. Muholis Bildstrategie macht unspektakulär darauf aufmerksam, dass weißhäutige Menschen in der Schwarzweißfotografie besser zu sehen sind. Die Aufnahmetechnik hat sie privilegiert. Das Bild gehört zur Serie „Heil der dunklen Löwin“, die seit 2012 entsteht.

Daneben bleibt das Gemälde, das Adolf Erbslöh 1909 im wechselvollen Farbrausch des Fauvismus schuf, ganz malerisch und dem Porträt verpflichtet. Auf „Saima Neovi“ sind Farbtupfer als Stilmittel des Pointillismus gezielt um die Augen der dänischen Künstlerin gesetzt. Ihr melancholischer Blick wirkt dadurch noch intensiver.

Die Ausstellung ist vor allem reich an hervorragenden Einzelbildern der Moderne. Beispiele für den selbstbewussten Akt sind „Die dicke Marie“ (1884) von Henri de Toulouse-Lautrec – die Prostituierte schaut selbstsicher und ohne Scham – und Kees van Dongens „Mädchenakt“ (1907), der eine junge Frau in ihrer ganzen Gelassenheit präsentiert und dabei die blassgelbe Haut in grünlichen Tönen changieren lässt. Maria Blanchards „Stehender weiblicher Akt“ (um 1912) betont Arme und Beine auf expressive Weise. Gleichzeitig hat die Hautbeschaffenheit etwas Morbides. Ganz anders stellt Christian Schad Weiblichkeit zur Schau. Das Gemälde „Halbakt“ (1929) zeigt eine Frau mit Bubikopf im Profil, wie sie mit blankem Busen und Halskette im Bett liegt. Schad arbeitet in seiner neusachlichen Malerei so präzise, dass die blauen Adern der Frau an Brust und Stirn erkennbar werden – nur im Original zu sehen. Eine Druckansicht kann dies kaum leisten.

Neben dem direkten Blickkontakt, den das Porträtbild bieten kann, vermitteln andere Arbeiten innere Versunkenheit. Wilhelm Morgners „Selbstbildnis VIII“ von 1912 ist ein extremes Beispiel. Der Maler hat die pastos aufgetragenen Farben mit dem Pinsel gereiht, gedreht und geschwungen, so dass das Gesicht dynamisch erscheint trotz clowneskem Charakter. Dagegen sorgt die orange-rote Blume in den Händen des Künstlers für einen Ruhepol. Mit seinem stoischen Blick ist Morgner ganz bei sich, während die grellen Farben zu sagen scheinen, schaut alle her.

Der Titel der Schau „Fremde sind wir uns selbst“ geht auf ein Buch Julia Kristevas’ von 1990 zurück. Die Philosophin möchte, dass das Anderssein nicht mehr als Gegensatz begriffen wird. Vielmehr meint sie, wenn im Fremden etwas Eigenes erkannt werde, lasse sich der Gegensatz überwinden. Zwei Kategorien verschmelzen miteinander, wie die Fremd- und Selbstwahrnehmung im Porträtbild. In Zanele Muholis Selbstporträt „Ntozhake I. Parktown“ (2016) ist die Künstlerin mit schwarzen Schwämmen zu sehen, die als Kopfschmuck arrangiert sind. Muholi erinnert mit den Putzmitteln an die 40 Jahre, die ihre Mutter bei einer weißen Familie als Hausangestellte beschäftigt war. So eine Arbeitsgeschichte hat etwas Menschliches, das sich auf verschiedene Weise verstehen lässt und mit dem Blick ihrer Tochter berührt.

Bis 29.1.2023; di – so, 11 – 18 Uhr; Tel. 0202/563 62 31; Katalogheft 10 Euro; www.

von-der-heydt-museum.de

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