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„Das Vermächtnis“ von Matthew Lopez am Theater Münster

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Von: Achim Lettmann

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Mit Alaaeldin Dyab (von links), Ansgar Sauren, Davíd Gavíria, Julius Janosch Schulte und Anton Dreger in „Das Vermächtnis“ von Matthew Lopez am Theater Münster.
Diskussionen in der LGBTQ-Community: Mit Alaaeldin Dyab (von links), Ansgar Sauren, Davíd Gavíria, Julius Janosch Schulte und Anton Dreger in „Das Vermächtnis“ von Matthew Lopez am Theater Münster. © hans jürgen landes

Über drei Generationen erzählt das Theaterstück „Das Vermächtnis“ von Homosexuellen in der US-Gesellschaft. In zwei Teilen bietet das Theater Münster den emotionsgeladenen Stoff.

Münster – Eric ist erstaunt. Der deutlich ältere Henry will ihn heiraten. Worum geht es? Liebe, Eitelkeit oder Sicherheit? In der homosexuellen Community in New York, die Matthew Lopez für sein zweiteiliges Stück „Das Vermächtnis“ entwickelt hat, ist die Antwort sogar politisch. Henry ist kein Aktivist, der für Gleichberechtigung kämpft. Er ist sogar Republikaner und macht im Ölgeschäft Geld. Deshalb wird er von Jüngeren hinterfragt. Hatten nicht die Aktivisten die Industrie gezwungen, Anti-Aids-Präparate zu entwickeln? Für Henry war entscheidend, dass die Pharmafirmen ihre Chance auf Profit realisierten. Und US-Präsident Bush habe Medikamente für Afrika bereitgestellt, sagt Henry, der früher mit Walter zusammen war. Ist so ein Republikaner der richtige für Eric? Pascal Riedel spielt ihn als nachdenklichen jungen Mann mit humanen Prinzipien.

Regisseur Sebastian Schug inszeniert am Theater Münster solche Gefühle. Christian Bo Salle stellt Henry kerzengrade hin, er lässt sich nicht disqualifizieren. In seiner Zeit habe es keine schwulen Männer gegeben, brüllt er und schockiert die Community. Alle sind betroffen, weil alle wissen, dass Homosexuelle in den USA der 60er Jahre incognito lebten, ihre Gefühle waren ungesetzlich, Gefängnisstrafen drohten. Das sind die starken Momente dieser Inszenierung, weil die Ohnmacht schlagartig spürbar wird, der Homosexuelle ausgesetzt waren. Ihre innere Not lässt einem den Atem stocken. In Münster funktioniert wirkmächtiges Illusionstheater.

Hier liegt auch die Qualität von Matthew Lopez’ Stück. „Das Vermächtnis“, 2018 von Stephen Daldry in London uraufgeführt, bietet ein Tableau homosexueller Figuren wie nie zuvor auf der Bühne. Über drei Generationen wird der Freiheitskampf um Anerkennung und Gleichberechtigung in der US-Gesellschaft hoch emotional verdichtet und als spezifisches Leid spürbar. Das umfangreiche Drama – in Münster als zweiteiliger Theater-Event angeboten oder in Einzelvorstellungen – eroberte den Broadway 2019 in New York und ist bisher vielfach ausgezeichnet worden. Verglichen mit „Angels in America“ von Tony Kushner (1993/94) wird dem „Vermächtnis“ eine ebenso große aufklärerische Wirkung bescheinigt. Wie schwer und erniedrigend kann das Leben von Menschen in einer offenen Gesellschaft sein, wo der Neoliberalismus jedes Thema aus ökonomischer Perspektive lösen will? „Das Vermächnis“ gibt Antworten, die bewegen.

Die Dramatik nimmt im Stück zu, als Donald Trump die US-Wahlen gegen Hillary Clinton gewinnt. Was bedeutet der Populist für die Homosexuellen? Gehen Rechte verloren, nimmt der Hass zu? Diese Unsicherheit grundiert „Das Vermächtnis“.

Regisseur Sebastian Schug schafft immer wieder intensive Momente. Neben Dialogen wird oft Prosatext von Darstellern eingesprochen, um einzelne Figuren zu komplettieren, wie Theaterautor Toby und seine Vergangenheit oder die Biografie von Sexarbeiter Leo. Ansgar Sauren (Toby) spielt einen Künstler, der nach sich selbst sucht und zur Bedrohung für andere wird. Anton Dreger verkörpert Leo und Adam in einem Zwiegespräch. Die Spielstrategie, die hier aufgerufen wird, macht die erzählte Geschichte vielschichtig, authentischer. Acht Darsteller des großartigen Ensembles spielen 27 Rollen. Dieses Prozesshafte wird im Bühnenbild gespiegelt, das Jan Freese werkstattmäßig bereit hält. Mal ein imposanter Garderobenspiegel, mal wird ein Bett eingeschoben. Oder mit einem Gaze-Tuch werden Meer und Strand imitiert, wo Toby und Leo sich vergnügen.

Unterhalten wird das Publikum, wenn Klischees zu schwulen Partnerschaften in Münsters Kleinem Haus zum Amüsement zugespitzt werden. Matthew Lopez setzt ein vitales Gegengewicht zu den Schicksalen in „Das Vermächtnis“. Man wird mitgerissen vom Handlungsstrom, den Regisseur Schug nur stoppt, wenn auf einzelne fokussiert wird – manchmal auch zu kitschig.

Mechthild Großmann tritt als Mutter eines Homosexuellen auf, den sie nie verstanden hat und der an Aids starb. Es ist ein Monolog voller Reue und eine Selbstoffenbarung, bei der Großmanns Stimme den Raum füllt, und den Bogen zu Walter schlägt, Henriks eigentlicher Liebe. Das Premierenpublikum war tief ergriffen. Beifall, Jubel, Standing Ovations.

11., 13., 14., 17., 22., 23., 26.12.; 13., 25., 27. 1. 2023; 4., 8., 14.,17., 25.2.; Tel. 0251/59 09 100; www.

theater-muenster.com

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