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Jessica Weisskirchen inszeniert Büchners „Woyzeck“ bildstark am Theater Dortmund

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Von: Ralf Stiftel

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Szene aus „Woyzeck“ in Dortmund mit Raphael Westermeier und Nika Miskovic.
Eingesperrt: Szene aus „Woyzeck“ in Dortmund mit Raphael Westermeier und Nika Miskovic. © Birgit Hupfeld

Dortmund – Gebeugt geht Woyzeck. Ihn drückt ein Rucksack, wie ein Parasit an seinem Rücken. Vielleicht ist dieses Geschöpf es auch, das mit ihm spricht. Den Wahn von Georg Büchners berühmter Figur vergegenwärtigt Raphael Westermeier am Schauspiel Dortmund, dass man ihn körperlich fühlt. Alle wollen etwas von dem Mann. Als geschundene Kreatur schleppt er sich durch das Leben, traktiert vom Hauptmann mit Exerzierübungen und vom Doktor, der ihn als Versuchsobjekt für Ernährungsexperimente nimmt.

Die Darsteller in Jessica Weisskirchens Inszenierung sehen aus wie Mischwesen aus Mensch und Tier. Ekkehard Freye als Hauptmann hat einen Mähnenhelm und läuft auf Hufen. Nika Miskovic als Doktor drückt Woyzeck Katzenkrallen auf die Haut, als wolle sie ihn aufschlitzen. Linda Elsners Marie, die untreue Geliebte des armen Soldaten, trägt einen Ziegenbart, später Bockshörner. Zunächst wirkt dieser Ansatz, das Animalische in Büchners Figuren zu unterstreichen, wie ein Kuriositätenkabinett. Aber die Regisseurin und Ausstatter Günter Hans Wolf Lemke beziehen sich in ihren szenischen Kreationen auf den Stücktext. Weisskirchen extemporiert die Jahrmarkts- und die Laborsituationen, sie denkt mit, dass Woyzeck unter Dauerdruck steht. Im Studio schafft diese Produktion ein Klima von Fieber, Traum und Irrsein. Gespielt wird in einem Raum voller Gitter um ein Drehelement, ein Karussell. Hier dreht Woyzeck buchstäblich am Rad, während der Hauptmann ihn zutextet, Westermeier klinkt sich ans Gitter und zerrt.

Die physische Präsenz der Darsteller, ihre expressive Kraft lässt die ausgefallene Aufmachung selbstverständlich wirken. Westermeier steckt immer wieder in engen Räumen, am extremsten in der Doktorszene, wo ihn Miskovic in einem gläsernen Popcorn-Wagen auf die Szene schiebt und über ihn schwadroniert, während er sich zwischen grünen Papiererbsen zusammenfaltet und mit dem Finger an die beschlagene Scheibe „Hilfe“ schreibt. Schrecklich komisch. Dann wieder wirkt er wie eine tickende Bombe, wenn er von den Freimaurern fantasiert, die alles unterwühlen. Während er von Verschwörungen fabelt, bückt er sich und bleckt Zähne und blickt böse.

Es funktioniert: Die meisten Figuren hat die Regisseurin gestrichen, nur der Tambourmajor, Maries reicher Liebhaber, wird als Stimme aus dem Off eingespielt. Aber das traurige Märchen der Großmutter passt auch, wenn Linda Elsner es erzählt. Ihre Marie ist nicht weniger zerrissen als Woyzeck, der sie als Teufel anspricht. So sieht sie aus. Wenn sie ausruft: „Ich bin ein Mann“, eigentlich ein Satz des Tambourmajors, ist das mehr als Gender-Koketterie. Es nimmt die Figur aus der Opferrolle, zeigt sie als handelndes Subjekt. Sie spricht am Schluss vom „guten, schönen, echten Mord“. Da kann man sich die eigentliche Tat sparen.

Großer Beifall für einen intensiven Abend.

23., 28., 30.9., 9., 16., 23.10., Tel. 0231/ 50 27 222, www.theaterdo.de

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