Um diesen Blick zu untermauern, montiert die Regisseurin Auszüge aus dem Gutachten des Leipziger Mediziners Clarus ein. Büchner hatte sein Drama nach einem realen Kriminalfall erarbeitet. Die Zeugenaussagen trägt das Ensemble als anonymes Gerede der „Leute“ vor. Da entpuppt sich Woyzeck eben als notorischer Gewalttäter auch gegenüber anderen Frauen. Schon zuvor erschrickt man, wenn Daniel Rothaug gegen eine Mauer schlägt, dass das Blut spritzt und später Marie seine Hand verbinden muss. Richters Inszenierung schärft den Blick auf aktuelle Probleme. Aber sie macht auch aus einem existenziellen, vielschichtigen Drama einen eher einsträngigen Zeitkommentar.
Sehenswert ist der Abend allemal, schon wegen der emotionalen Intensität, mit der Rothaug und Simin Soraya das unglückliche Paar darstellen. Marie hat eigentlich nicht viel Text. Das wird hier kompensiert, indem sie ihrem Baby zum Beispiel das furchtbar trostlose Märchen erzählt, das eigentlich die Großmutter erzählt. Viel Hoffnungslosigkeit vermittelt Soraya mit stummen Gesten. Bis sie am Ende doch noch das Wort ergreift. Daniel Rothaug spielt den Woyzeck mit physischer Wucht, zeigt ein schlichtes Gemüt in aller Komplexität, das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, die Wehrlosigkeit gegen die Übergriffe seiner Herren. Es ist eine Leistung dieses Abends, dass er nicht auf den brutalen Täter reduziert wird, dass Ambivalenz zugelassen wird. Und das, obwohl der Mord mit krasser Ausführlichkeit dargestellt wird.
Die anderen Darsteller tragen zur Dichte des Abends bei. Klaus Zwick spielt den Hauptmann als übergriffigen Kleingeist, der die Eifersucht Woyzecks geradezu lustvoll anfacht. Regina Leenders verkörpert den Arzt als gefühllosen Experimentator mit surrealen Zügen: Das Wort „Natur“ bringt sie kaum über die Lippen, würgt daran und erbricht es geradezu. Elias Baumann macht aus dem Tambourmajor einen Schönling, der Marie wohl nur reizt, weil sie ihn nicht wirklich berühren kann. Franziska Roth lässt Andres als Feierbiest auftreten, immer einen anzüglichen Pophit auf den Lippen, die Flasche griffbereit. Großer Beifall für eine stimmige Klassikeraktualisierung.
9., 16., 17.12., 7.1.,
Tel. 0208 / 8507 184, www.theater-oberhausen.de