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Pia Richter inszeniert „Woyzeck“ in Oberhausen gegen die Romantisierung der Gewalt gegen Frauen

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Von: Ralf Stiftel

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Szene aus „Woyzeck“ in Oberhausen mit Simin Soraya und Daniel Rothaug.
Trostlose Liebe: Szene aus „Woyzeck“ in Oberhausen mit Simin Soraya und Daniel Rothaug. © Axel J. Scherer

Oberhausen – Ausweglos hängen Woyzeck und Marie in diesem Erdloch. Eine Grube mit steilen Wänden, an denen sie oft emporhechten. Aber nur ihm gelingt es für kurze Zeit, den schmalen Rand zu erklimmen. Dann kommt er zum Doktor, der seine Ernährungsexperimente mit ihm treibt. Oder zum Hauptmann, der ihm vertraulich an die Wäsche geht, in seinen Hosentaschen fingert. Oder er trifft seinen Kumpel Andres, der am liebsten dauernd mit ihm feiern würde und der immer einen Schluck aus seinem Flachmann anbietet.

Pia Richter beschönigt nichts in ihrer Inszenierung von Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ am Theater Oberhausen. Den Titelhelden zeigt sie als Opfer seiner Armut, immer in Eile von einem prekären Job zum nächsten. Aber es sollte zu denken geben, dass der Mann am Anfang, als er und Marie innig knutschten, Stings Stalker-Song anstimmt: „Every Breath You Take...“ Der jungen Mutter in ihrem kanariengelben Kostüm ergeht es noch schlechter als ihrem bemitleidenswerten Gefährten, der ihr Mörder wird. Ihr gibt diese Inszenierung am Ende eine Stimme. Da erhebt sich die blutige Erstochene wieder zu einer ungehaltenen Rede über das „Vieh“ Woyzeck, dem kein erlittenes Unrecht, keine psychische Bedrängnis das Recht gibt, seine Frau zu töten. Ein Perspektivwechsel in einer Inszenierungsgeschichte, die sonst eher mit dem Täter fühlt.

Um diesen Blick zu untermauern, montiert die Regisseurin Auszüge aus dem Gutachten des Leipziger Mediziners Clarus ein. Büchner hatte sein Drama nach einem realen Kriminalfall erarbeitet. Die Zeugenaussagen trägt das Ensemble als anonymes Gerede der „Leute“ vor. Da entpuppt sich Woyzeck eben als notorischer Gewalttäter auch gegenüber anderen Frauen. Schon zuvor erschrickt man, wenn Daniel Rothaug gegen eine Mauer schlägt, dass das Blut spritzt und später Marie seine Hand verbinden muss. Richters Inszenierung schärft den Blick auf aktuelle Probleme. Aber sie macht auch aus einem existenziellen, vielschichtigen Drama einen eher einsträngigen Zeitkommentar.

Sehenswert ist der Abend allemal, schon wegen der emotionalen Intensität, mit der Rothaug und Simin Soraya das unglückliche Paar darstellen. Marie hat eigentlich nicht viel Text. Das wird hier kompensiert, indem sie ihrem Baby zum Beispiel das furchtbar trostlose Märchen erzählt, das eigentlich die Großmutter erzählt. Viel Hoffnungslosigkeit vermittelt Soraya mit stummen Gesten. Bis sie am Ende doch noch das Wort ergreift. Daniel Rothaug spielt den Woyzeck mit physischer Wucht, zeigt ein schlichtes Gemüt in aller Komplexität, das Bedürfnis nach Zärtlichkeit, die Wehrlosigkeit gegen die Übergriffe seiner Herren. Es ist eine Leistung dieses Abends, dass er nicht auf den brutalen Täter reduziert wird, dass Ambivalenz zugelassen wird. Und das, obwohl der Mord mit krasser Ausführlichkeit dargestellt wird.

Die anderen Darsteller tragen zur Dichte des Abends bei. Klaus Zwick spielt den Hauptmann als übergriffigen Kleingeist, der die Eifersucht Woyzecks geradezu lustvoll anfacht. Regina Leenders verkörpert den Arzt als gefühllosen Experimentator mit surrealen Zügen: Das Wort „Natur“ bringt sie kaum über die Lippen, würgt daran und erbricht es geradezu. Elias Baumann macht aus dem Tambourmajor einen Schönling, der Marie wohl nur reizt, weil sie ihn nicht wirklich berühren kann. Franziska Roth lässt Andres als Feierbiest auftreten, immer einen anzüglichen Pophit auf den Lippen, die Flasche griffbereit. Großer Beifall für eine stimmige Klassikeraktualisierung.

9., 16., 17.12., 7.1.,

Tel. 0208 / 8507 184, www.theater-oberhausen.de

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