„Tatort“-Star Dietmar Bär: Das ist sein schönster Einsatz

Als Kölner „Tatort“-Kommissar ist er im wahrsten Sinne des Wortes eine Wucht, seit 25 Jahren. Dass Dietmar Bär aber noch viel mehr kann als Krimi, können die Münchner am Freitag, 30. September 2022, erleben. Der 61-Jährige interpretiert Rilke-Texte im Deutschen Theater. Und das ganz wunderbar.
Dietmar Bär konnte darüber nur müde lächeln. 2018 hatte das Filmfest München das Drama „Für meine Tochter“ im Programm, in dem Bär, sehr überzeugend, einen Apotheker spielt, dessen Leben völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Begründung für die Einladung aufs Festival damals: Man wolle den Zuschauern in Erinnerung rufen, dass der „Tatort“-Star aus Köln mehr kann als Krimi. Ach was, dachte man sich, und auch Dietmar Bär kommentierte trocken: „Ich bin ja Schauspieler von Beruf und nicht Kommissar.“ Gleichwohl zeigte er Verständnis dafür, dass Menschen in ihm als Erstes den Freddy Schenk sehen, den er seit nunmehr 25 Jahren spielt – und damit Millionen erfreut. Nun ist Bär in einer Rolle zu erleben, die tatsächlich überraschen mag. Der 61-Jährige ist Teil des „Rilke-Projekts“ von Schönherz & Fleer, einem Komponisten-Duo, das die Texte des Lyrikers Rainer Maria Rilke (1875-1926) mit musikalischer Untermalung auf die Bühne bringt, die dort dann von Nina Hoger, Ralf Bauer und Bär rezitiert werden. Vergangene Woche feierte „Das ist die Sehnsucht“ in Stuttgart Premiere. Unsere Zeitung war vor Ort und erlebte einen zauberhaften Abend. Am Freitag macht das Team im Deutschen Theater in München Station.

„Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich bei diesem Projekt mitmachen darf“, sagt Dietmar Bär am Morgen nach der Stuttgarter Vorstellung. „Ich reihe mich ein in eine Riege großer Kollegen.“ In der Tat ist das „Rilke-Projekt“ bereits vor 20 Jahren geboren. Richard Schönherz und Angelica Fleer entwickelten das Konzept, „diese wunderschönen Texte mit Musik zu begleiten“. Und legten los. Mit Leidenschaft, Engagement und einer Ausdauer, die sich auszahlte: Ihre Idee von einst ist inzwischen das erfolgreichste deutschsprachige Lyrik-Projekt. Im Lauf der Jahre konnten die beiden Komponisten, die auch verheiratet und Eltern eines Sohnes sind, Theater-, Film- und Musikgrößen wie Mario Adorf, Peter Simonischek, Katja Riemann, Peter Maffay, Wolfgang Niedecken und viele mehr für die Interpretation der Rilke-Texte gewinnen. Sechs Studioalben sind erschienen, zahllose Konzertabende haben das Publikum begeistert, berührt, zum Nachdenken – und Lachen gebracht. Denn Rilke hatte neben seiner sehr poetischen Ader durchaus auch Hang zu gutem Witz und Ironie.
Dietmar Bär ermittelt seit 25 Jahren im Kölner „Tatort“
Er habe den Abend der Premiere sehr genossen, erzählt Bär. „Das ist das, wo ich herkomme: Theater. Live.“ Das Projekt sei aber andererseits auch eine neue Baustelle für ihn. „Rilke mit Musik und mit Kollegen auf der Bühne – das ist etwas völlig anderes als eine reine Lesung.“ Es habe unheimlich viel Spaß gemacht. „Und am Ende stehen glückliche Menschen auf und klatschen für uns. Das sind die Momente, von denen wir Bühnen-Schauspieler leben.“ Kollege Ralf Bauer pflichtet ihm bei. Der 56-Jährige ist ein „alter Rilke-Projekt-Hase“, war oft mit Schönherz & Fleer auf Tour. „Mich faszinieren die Texte schon immer, und es ist beeindruckend, wie Angelica und Richard stets Neues aus ihnen machen“, sagt er. „Wenn die Musik gut ist wie hier, geht sie direkt ins Herz. Worte müssen ja erst noch durchs Hirn.“
Neben Dietmar Bär sind Nina Hoger und Ralf Bauer in München zu Gast
Apropos Worte. Wer das Programm sieht und hört, mag sich manches Mal denken: Was – das ist Rilke? „Könnte auch Grönemeyer sein“, lacht Dietmar Bär, dem es ähnlich ging. „Aber nein, der wird auch Rilke gelesen haben.“ Bedeutet: Obwohl 100 Jahre alt, sind Rilke-Texte höchst modern. „Wir merken über unsere Social-Media-Kanäle, dass sich auch die junge Generation da gut einklinken kann“, sagt Fleer. „Für uns ist das natürlich eine unglaubliche Freude.“ Und gibt es ein Gedicht, das im Programm nie fehlen darf? Das „Satisfaction“ der Rolling Stones sozusagen? „,Der Panther‘ natürlich“, sagt Fleer. „Und ,Herbsttag‘.“ Diese Klassiker konnte Bär schon vor seinem Mitwirken am Projekt aus dem Stegreif rezitieren. „Das sind die Festplatten aus der Schauspielschulzeit“, meint er schmunzelnd. Sein „Satisfaction“ sei aber Rilkes „Liebes-Lied“. „Das holt mich musikalisch sehr ab.“ Man spürt diese Leidenschaft auch als Zuschauer und staunt, wie viel Zartheit aus diesem wuchtigen Körper kommen kann. Der „Tatort“-Freddy ist nach zehn Sekunden vergessen.

Daheim in Frankfurt am Main steht im Wohnzimmer von Fleer und Schönherz eine lange Bücherwand mit Rilke-Werken. „Wir finden immer noch etwas Neues“, sagt Schönherz. Die Poesie sei schier unerschöpflich. Fleer: „In unserem schnelllebigen, oberflächlichen Heute, in dem wir ständig zugeschüttet werden mit Informationen, ist es schön, wenn man auf die Essenz kommt. Auf das, worum es eigentlich geht.“ Und wenn es dann noch in so wunderschöne Worte gepackt sei wie bei Rilke, berühre es die Menschen. „Dann öffnet sich eine Tür, die vielleicht verschlossen war.“
Bär hat sich nach der Beschäftigung mit dem Rilke-Projekt gleich noch einen Gedichtband und den Rilke-Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ gekauft. Gut möglich, dass ihm das die Menschen gleichtun werden, die sich in München von Text, Musik und denen, die beides auf wunderbare Art verbinden, verzaubern lassen. Es lohnt sich.
Das Rilke-Projekt gastiert am Freitag, 30. September 2022, 20 Uhr, im Deutschen Theater. Tickets unter 089 / 55 23 44 44.