Seit 170 Jahren symbolisiert der Bahnhof Canfranc den Wunsch der Aragonesen, aus ihrer Isolation auszubrechen. Lange Zeit und immer wieder stieß das Begehren, mittels der Bahn an die Welt angeschlossen zu werden, auf beiden Seiten der Pyrenäen auf taube Ohren. Außer ihnen wollte eigentlich nie jemand je diese Verbindung von Spanien nach Frankreich, was neben den klimatologischen Schwierigkeiten und dem unwegsamen Gelände wohl der Hauptgrund dafür ist, dass Canfranc so oft in der Vergessenheit versank und heute zu den Lost Places in Spanien gehört.
Die Franzosen setzten seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Nordrouten von Paris über Irún nach Madrid und verwarfen die Pläne über diese kostspielige Trasse über und durch die Pyrenäen. In Spanien betrachtete das Militär stets argwöhnisch das Vorhaben, fürchtete man doch aufgrund der strategischen Lage eine Invasion über die Berge bis nach Zaragoza und ins Ebro-Tal. Erst als die Franzosen ihre geschäftlichen Interessen auf Oran und Algerien richteten, bündelten sich genug Kräfte und Interessen für diese mögliche und unmögliche dritte Route über die Berge nach Alicante* und Almería in Andalusien*.
Man nahm diese gewaltige Baumaßnahme in Spanien Angriff, dessen Funktionalität aufgrund der 1.200 Höhenmeter von Anfang an angezweifelt wurde. Wie sollte man im Winter eine Eisenbahn über Schnee, Eis und die Berge bringen? Die Trasse gipfelte im Bau des über 700 Meter langen Tunnels durch den Col du Somport oder Puerto de Somport. Aus dem Gestein, das man aus dem Berg hieb, baute ein Heer von Arbeitern die Trasse und den Bahnhof von Canfranc in das Bett eines Flusses hinein, der zuvor umgeleitet werden musste. Man schuf eine der damals wohl größten Bahnanlagen Europas unter widrigsten klimatologischen und topographischen Bedingungen. Um sie vor Lawinenabgängen zu schützen, pflanzten man über 7.000 Bäume in die Hänge, die das Tal umschlossen. Eine Bau- und Ingenieursleistung sondergleichen für eine Infrastruktur, die niemand wirklich wollte.
Glanz und Gloria der Transpyrenäen-Eisenbahn erloschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Franco fürchtete die Wogen der Entnazifizierung und schüttete aus Angst vor den Alliierten den Tunnel von Somport zu und kappte den Zugverkehr von Spanien nach Pau und Frankreich. Und wieder hoppelten fünf Jahre lang Fuchs und Hase über die Schienen in den Pyrenäen. Als Canfranc wieder den Bahnverkehr aufnahm, trottete die Trasse in ihrer Auslastung und Entwicklung den Verbindungen im Norden über Irún und im Süden über La Junquera und Katalonien weit hinterher. In Frankreich fuhr die Bahn längst unter elektrischen Oberleitungen, in Spanien musste weiterhin der Kohleofen die Züge über Steigungen bringen, die Maße der Trassen unterschieden sich und letztendlich besiegelte die Höhenlage das Schicksal von Canfranc als Geisterbahnhof.
Im März 1970 scheiterte ein Güterzug aus dem französischen Pau an den Steigungen in den Pyrenäen, kam auf den vereisten Gleisen am Pass von Somport ins Schlittern, schoss eine Hang hinab und stürzte in den Fluss. Der französischen Regierung kam der Unfall wohl nicht ganz ungelegen. Ein guter Vorwand, die Trasse zu schließen. Und so geschah es, und sie geriet abermals in Vergessenheit. Manch ein Umweltschützer kramte sie hervor als ein Argument gegen den Bau des Straßentunnels. Half aber nichts. Im Jahr 2000 kamen zwar die spanische und französische Regierung überein, den Bahnhof Canfranc wieder zu öffnen. Seit 2006 sollten schon wieder Züge zwischen Spanien und Frankreich über Canfranc fahren, sogar der AVE. Die Trassen, die Pläne – alles liegt bereit und die Kosten je 80 Millionen Euro muteten stets überschaubar im Vergleich zu anderen Eisenbahnprojekten an. Die „Dame der Pyrenäen“ aber schlummert weiterhin als Lost Place in ihrem Dornröschenschlaf. *costanachrichten.com ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.