Anwohner im Sauerland leiden unter Bikern: Ehepaar baut eigene Lärmschutzwand ins Haus

Sie hören die Maschinen schon weitem. Es sind die Motorradfahrer, die in die kleine Kiersper Ortschaft einfallen. Ein Ehepaar hat deshalb ihr Haus aufgerüstet.
Kierspe – Eine eigene Lärmschutzwand des Nachbarn, klingelnde Biker, die über das Festnetz Hilfe rufen möchten, weil sie kein Netz haben, oder sogar aggressive Motorradfahrer, die sich mit dem Ordnungsamt prügeln wollen – es gibt viele Geschichten, die Sabine Kramer und Bruder Volker Kramer erzählen können über die Geschehnisse in MühlenSchmidthausen.
Durch die kleine Ortschaft führt die K3, eine bei Bikern sehr beliebte Strecke. Bei Schwenke in Halver steigen viele Verkehrsteilnehmer auf zwei Rädern gerne ein. Auch Fahrradfahrer. Scharfe Kurven, schmale Straßen, mit zum Teil uneinsichtigen Stellen, die sich durch die malerische Landschaft schlängeln, charakterisieren das markante Streckenprofil.
„Bis zu 2000 Motorradfahrer sind hier an schönen Wochenenden und Feiertagen im Sommer unterwegs. Und das oft viel zu schnell und viel zu laut“, weiß Volker Kramer. Im Garten sei es wegen der Lautstärke dann unerträglich, „da hält man es nicht aus“. Und so richtig auf die Straße trauten sich dann auch viele nicht mehr. „Hier gilt die Geschwindigkeitsgrenze von 100 km/h“, fügt er hinzu.

„Es gibt solche und solche. Manche sind vernünftig, manche überhaupt nicht.“ Die Strecke sei sehr gefährlich, „zwei Todesfälle hat es bislang gegeben, wobei da nicht immer Motorräder drin verwickelt waren“, sagt Volker Kramer. Eine besonders tragische Geschichte sei die gewesen, als eine junge Frau am Abend eine Autopanne hatte. Nicht weit von der kleinen Ortschaft entfernt in Richtung Kierspe-Dorf.
Zwei Todesfälle
Die Frau habe ihre Familie angerufen, um Hilfe zu holen. Bei der Anfahrt sei dann jemand von der Familie tödlich verunglückt. Noch heute steht an dem Baumstamm eine Friedhofskerze und ein großes Herz mit den Initialen auf der Straße erinnert an den Todesfall. Der andere Unfall mit Todesfolge sei passiert, als jemand in ein Gülle-Fahrzeug gerast sei.
„Es hört sich makaber an, aber es sind zu wenig Tote, deshalb passiert hier nichts“, sagt Kramer kopfschüttelnd. Es passiere einfach zu wenig, um Konsequenzen einzuleiten, das habe er von der Politik erfahren, die die Strecke schon besichtigt habe. „Die können nichts machen, weil es eine Kreisstraße ist. Das Problem gebe es bereits seit mindestens zehn Jahren, seitdem das Motorradfahren so in Mode gekommen sei. Dabei passierten insbesondere in der engen Kurve mitten in der Ortschaft Unfälle, die glücklicherweise glimpflich ausgingen. Die würden dann oft nicht gemeldet, weil weder die Polizei noch der Rettungsdienst kommen müsse.

„Viele Biker klingeln dann aber bei uns, um unser Festnetz-Telefon nutzen zu können. Man hat hier oft kein Netz“, sagt der Kiersper. Die ließen ihre kaputten Maschinen dann erst mal in der Ortschaft stehen und sich abholen. Das fahruntüchtige Zweirad werde dann oft Tage später abgeholt.
Manche seien auch sehr aggressiv. Und das nicht nur im Sattel. „Einer wollte meinen Sohn schon mal anhalten und ihm an den Kragen, weil er zu langsam gefahren sei.“ Ebenfalls gut in Erinnerung ist den Kramers geblieben, als die Strecke mal wegen eines Events für den Verkehr vom Ordnungsamt gesperrt worden sei, „da wurden einige Motorradfahrer sehr aggressiv, weil sie nicht fahren durften“, blickt Volker Kramer zurück. Fast habe es eine Prügelei mit den Mitarbeitern des Ordnungsamtes gegeben, erzählt er.
Wasserschutzgebiet
Sabine Kramer kann nicht verstehen, warum in einem Wasserschutzgebiet Motorräder so laut unterwegs sein dürften, „hier leben ja auch viele sensible Tiere“. Und da die Straße wohl irgendwann neu gemacht werden soll, wünscht sie sich für die Zukunft wenigstens Hindernisse wie Bodenwellen, um die Geschwindigkeit und den Lärm zu minimieren.
Patrick Lauwers, ebenfalls Anwohner, nutzt die Straße auch als Joggingstrecke. Aber meist nur in der Woche, weil das an Wochenenden im Sommer wegen der schnellen Biker viel zu gefährlich sei. „Einigen Motorradfahrern wird der Gullydeckel mitten in der Kurve in der Ortschaft zum Verhängnis. Da rutschen sie dann drüber“, weiß Lauwers, der seinen Hund mit zum Joggen nimmt. Dabei ist Lauwers dem Motorradfahren selber nicht abgeneigt, „ich fahre aber nur da sehr schnell, wo ich es darf und wo es angebracht ist.“ Auf der K3 seien zwar 100 km/h erlaubt, aber das sei angesichts der scharfen Kurven und der schmalen Straße viel zu gefährlich, erklärt der ehemalige Berufssoldat. Selbst mit dem Auto sei das viel zu riskant, fügt der 65-Jährige hinzu.
Eigene Lärmschutzwand
Eine eigene Lärmschutzwand hat sich Ehepaar Heiden errichtet. Ihr Haus liegt direkt an besagter Kurve mit Gullydeckel. „Wir mussten irgendwann reagieren angesichts des Lärms. Das wurde irgendwann unerträglich“, erklärt Rolf Heiden. Die Lärmschutzwand habe man in das Haus integriert. „Mittlerweile hab ich mich daran gewöhnt, meine Ehefrau Sigrid hingegen ist immer noch angespannt, sobald sie die lauten Motoren der Zweiradmaschinen hört.“ Die Sorge, dass was Schlimmes in der Kurve passieren könnte, ist jedes Mal immer wieder groß. Intensiv beobachtet hat der Kiersper das wilde Treiben, und das so sehr, dass er manche Maschinen trotz Entfernung am Geräusch erkennt, „wenn der Grüne aus Recklinghausen kommt, das hören wir schon von Weitem. Dann wird meine Ehefrau besonders unruhig. Die BMW-Maschinen sind dagegen leiser, die anderen Typen oft lauter“, hat Rolf Heiden analysiert.

Diese Fähigkeit wäre fast etwas für die Sendung „Wetten, dass...“. Doch zum Wetten ist dem Kiersper Ehepaar nicht zumute, „ein Wunder, dass trotz des Gullydeckels noch nicht mehr passiert ist.“ Oft legten sich die Raser so weit in die Kurve, dass das Knie fast die Straße berührt. Mit der Corona-Pandemie habe der Motorrad-Boom noch mal zugenommen. Es kämen vermehrt Holländer, und auch zu geringer Abstand sei ein Problem. Heiden findet: „Am Wochenende müsste man die Straße für Motorräder sperren.“ Die Polizei jedoch sage, es passiere noch zu wenig, um aktiv zu werden, weiß der Kiersper. Und auf eine Kreisstraße habe man keinen Einfluss, heiße es vom Bürgermeister, so der Anwohner. Zwar seien schon von der Stadt Schilder aufgestellt worden: „Bitte langsamer“ oder „Bitte leiser“. Aber welcher Motorradfahrer halte sich schon daran, sagt er.
Mehr Kontrollen
Und was sagt das vielerwähnte Stadtoberhaupt dazu? „Die Situation in MühlenSchmidthausen ist weitestgehend unbefriedigend“, sagt Bürgermeister Olaf Stelse. Das habe schon die Besichtigung mit einer Kommission, bei der neben dem MK, der Polizei unter anderem auch Halvers Bürgermeister Michael Brosch dabei gewesen sei, vor fast genau zwei Jahren am 29. Juni 2021 ergeben. Dabei sei auch der Streckenabschnitt in Halver-Anschlag befahren worden, der vergleichbar mit den Problemen in Kierspe sei.
Es sei, so Stelse, bei der Begutachtung jede Hofeinfahrt auf Gefahren hin geprüft worden. Zwar gebe es wenig Handlungsspielraum, weil es sich um eine Kreisstraße handele, das habe die Polizei auch bei der Besichtigung signalisiert, so Stelse.
Jedoch kündigt der Bürgermeister Maßnahmen für die Zukunft an: „Wir werden künftig die Strecke verstärkt kontrollieren. Nicht nur was die Geschwindigkeit betrifft, sondern auch die Lautstärke der Maschinen.“
Übrigens gibt es auch Motorräder mit Elektromotoren – doch die haben zahlreiche Schwachstellen und sind umstritten. Biker sind genervt. Die Hersteller kennen die Probleme und wollen reagieren.