Die besorgten Eltern von Justin sind sich sicher, dass die Kopfverletzungen ihres Sohnes nicht nur durch einen Sturz passiert sind. Laut Aussage der Ärzte hätte Justin zweimal von einem Hochhaus stürzen müssen, damit eine solch „gravierende Läsion“ überhaupt zustande kommen konnte. „Die Ärzte sagten, der Schlag hätte von einer Person wie Mike Tyson zweimal mit der Axt verübt werden müssen. Das passt alles nicht zusammen“, sagt die Ramsbeckerin.
Keine Acker- oder Wiesenflecken auf dem weißen Pullover von Justin Bathen, keine Abwehrspuren – die Familie des Geschädigten fühlt sich hilflos, von der Polizei im Stich gelassen. Erst drei Tage nach dem Unglück seien die Polizeibeamten das erste Mal in der Klinik erschienen, um Justin zu sehen. Man gehe von einem Sturz aus, der Junge sei alkoholisiert gewesen. Aber kann das alles gewesen sein?
Oberstaatsanwalt Thomas Poggel teilte auf Nachfrage von sauerlandkurier.de* mit, dass die Polizei erst drei Tage nach dem Vorfall informiert worden sei. Ein Ermittlungsverfahren sei bisher nicht eingeleitet worden. „Es gibt keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verfahren. Die Auffindesituation spricht nicht für eine Gewalteinwirkung durch eine dritte Person oder einen Autounfall. Alles deutet auf einen Sturz hin.“ Die Verletzungen bestünden nur auf einer Seite, bei einem Unfall hätte Justin Bathen auch Verletzungen im Beinbereich haben müssen. K.o.-Tropfen sowie einen Raubüberfall schließt er ebenfalls aus. Als einzige Unstimmigkeit sieht der Arnsberger Staatsanwalt eine vorgefundene Schleifspur am Unglücksort an, die jedoch auch nicht darauf hindeute, dass eine dritte Person beteiligt gewesen sei.
Damit gibt sich Rechtsanwalt Oliver Brock aus Brilon jedoch nicht zufrieden. Die Angelegenheit sei zwar bei der Polizei in Meschede noch in Bearbeitung, das reiche aber nicht. Zu viele Punkte seien offen und nicht geklärt. In einem Schreiben hat sich der Fachanwalt für Strafrecht nun an die Polizei und Staatsanwalt gewandt. Der Briloner Anwalt mutmaßt Fremdeinwirkung oder möglicherweise einen Unfall mit Fahrerflucht. „Seltsam ist, dass der Junge in einer Auffahrt gefunden wurde. Es gibt Schleifspuren vom Gehweg hinauf zum Auffindort. Wir hoffen, dass jemand etwas gesehen hat und Licht in die Angelegenheit bringen kann“, so Rechtsanwalt Oliver Brock.
Und es gibt noch eine Unstimmigkeit: Die Anwohnerin, die Justin Bathen in der Auffahrt gefunden und die Rettungskräfte informiert hat, war nicht die erste Anruferin, die den Fall gemeldet hat. Es gab einen Anrufer, der sich Minuten zuvor bei der Polizei gemeldet hatte. Diesen Erstanrufer nimmt Mutter Nadine Bathen nun in die Pflicht und erhebt schwerwiegende Vorwürfe: „70 Prozent der Menschen würden so etwas nicht überleben. Ich sehe das als unterlassene Hilfeleistung an, dass der Erstanrufer nicht geholfen hat.“
Entgegen anderslautender Presseberichte sei der Erstanrufer nicht vom Unfallort weggeschickt worden. Das bestätigte der Hochsauerlandkreis auf Nachfrage. Vielmehr habe es sich so zugetragen, dass der Erstanrufer sich bereits vom Unfallort entfernt hatte. Er sei vom Disponent der Leitstelle gebeten worden, zurückzugehen, um die Atemaktivität zu überprüfen. Darauf soll er gesagt haben: „Muss ich dann warten? Das ändert ja doch nichts.“ Die Strafanzeige von Seiten des Geschädigten werde derzeit überprüft.
Der Ausbildungsbetrieb von Justin Bathen, Vorderwülbecke Kälte Klima Wärme GmbH aus Ostwig, inklusive Belegschaft steht noch immer unter Schock. Justin Bathen sei ein gewissenhafter und hoch motivierter Auszubildender, beliebt und absolut zuverlässig. „Wir können uns nicht erklären, wie es zu so schwerwiegenden Verletzungen kommen konnte. Es ist enttäuschend, dass die Polizei keine weiteren Schritte unternommen hat“, erklärt Geschäftsführer Stefan Vorderwülbecke, der sich bereiterklärt hat, zur Ermittlung eines etwaigen Täters eine Belohnung auszusetzen.
Sollte ein Zeuge, Partygast oder Anwohner etwas beobachtet oder gehört haben daher der dringende Appell der Beteiligten: „Bitte sofort melden!“