„Murks!“ Gas-Umlage auch für Konzern-Gewinne? Jetzt fordert sogar die SPD Nachbesserung von Habeck
Die Gasumlage erhitzt die Gemüter stärker als jeder Heizlüfter. Mittlerweile ist klar: Das Geld fließt nicht nur an insolvenzbedrohte Unternehmen. Sogar die SPD wird ungeduldig.
Berlin/München – Die Gas-Umlage und ihre Ausgestaltung stoßen weiter auf Unmut und Unverständnis – jetzt auch in der Ampel-Koalition. Und, was womöglich noch frappierender erscheint: Selbst bei der SPD, die bislang meist eng auf Linie mit den Grünen-Kabinettsmitgliedern um Vizekanzler Robert Habeck war.
Schon nach der Verkündung der Umlage-Höhe war ein Sturm des Ärgers auf Habeck eingeprasselt. Zuletzt sind die Zweifel aber weiter gewachsen. Anlass ist eine Klarstellung aus der Bundespressekonferenz vom Montag (22. August): Dort hatte Susanne Ungrad, eine der Sprecherinnen des Wirtschaftsministeriums, erklärt: Gelder aus der Umlage erhalten nicht nur Unternehmen, die von der Insolvenz bedroht sind. Mehr noch: „Ein Unternehmen braucht eine gewisse Gewinnspanne, um weiter agieren zu können“, betonte Ungrad. Diese Gewinne könnten sich also offenbar auch aus der Umlage mit-speisen – mit dem Segen von Habecks Ministerium. Obwohl die Umlage einst als Schutz gegen Insolvenzen angekündigt worden war.

Gasumlage ganz anders als gedacht: CDU, Linke, Verbände attestieren Habeck „Murks“
Die vom Journalisten Tilo Jung auf Twitter geteilte Sequenz aus der Pressekonferenz stieß mit weiter über 1.000 Retweets und Zitierungen auf großes Interesse. Und auf noch größeren Unmut – zuerst bei der Opposition von Linke bis CDU.
„Die Botschaft war: Gasumlage nötig, da Zusammenbruch von Uniper verhindert werden muss. Nun hören wir: Abwendung von Insolvenz sei gar kein Kriterium für Antragstellung“, rügte der CDU-Europaparlamentarier Dennis Radtke. Die Forderung des Politikers vom Arbeitnehmerflügel der Union: „Dieser politische und handwerkliche Murks muss gestoppt werden, bevor die Menschen zur Kasse gebeten werden.“
Die Linke-Bundestagsfraktionsvize Susanne Ferschl konstatierte, die Umlage sichere Unternehmensgewinne ab, während manche Menschen nicht mehr wüssten, wie ihre Rechnungen bezahlen. Ihre Frage: „Sag mal Ampel, geht’s noch?“ Auch der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, tat Unverständnis kund: „Ich halt‘s nicht mehr aus“, twitterte er. Durchaus möglich aber, dass sich die Ampel-Koalition auch intern noch einmal um Streitschlichtung bemühen muss: In den Reigen der Kritiker – der auch am Dienstagnachmittag noch ständig anwuchs, etwa um die Landeschefin Manuela Schwesig (SPD) oder Linke-Promi Sahra Wagenknecht – reihte sich auch SPD-Chefin Saskia Esken ein.
Ampel-Streit um die Gasumlage: Esken gibt Habeck Hausaufgaben mit
Auf plakative Entsetzensbekundungen verzichtete die oberste Sozialdemokratin des Landes zwar, kurz nach einer Schelte von FDP-Amtskollegen Christian Lindner für öffentliche Koalitionsstreitigkeiten. Aber Esken setzte in einem Tweet einen ganzen Hausaufgaben-Katalog für Habecks Ministerium ab: „Bedingungen, nach denen Unternehmen Unterstützung des Staates oder aus der Gasumlage erhalten, müssen offen und klar definiert sein“, forderte sie. „Konzerne, die mit anderen Sparten mehr als gutes Geld verdienen, müssen sich selbst helfen. Ausschüttung von Dividenden muss ausgeschlossen sein.“
Genau das scheint aber nicht der Fall zu sein. Die Auskünfte der Habeck-Sprecherin lassen sich sinngemäß auch in einem „FAQ“ des Trading Hub Europe (THE) nachlesen - ebenso wie eine Liste jener Unternehmen und Konzerne, die Interesse an Geldern aus der Gasumlage angemeldet haben. Und der THE muss es wissen: Das Kooperationsprojekt mehrerer Netzbetreiber ist für die Umsetzung des Projekts Gasumlage mit verantwortlich und hat auch die benötigte Höhe miterrechnet.
Gasumlage: Elf Unternehmen beantragen Geld - einige davon machten zuletzt Milliardengewinne
Und tatsächlich: Eine Insolvenzgefahr ist nicht Bestandteil der Kriterien für Zuwendungen aus der Gasumlage. Anspruch geltend machen können, so der THE, „die von einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmengen unmittelbar betroffenen Gasimporteure“. Die einzige genannte Einschränkung: „... sofern die Gasbezugsverträge vor dem 1. Mai 2022 abgeschlossen worden sind.“
Nach Angaben des THE haben zwölf Unternehmen „Meldungen und Prognosen an THE“ gemeldet. Eine solche „Meldung“ scheint die Möglichkeit von Zahlungen zu eröffnen, aber nicht gleichbedeutend mit der Beantragung zu sein. So findet sich neben dem tatsächlich insolvenzbedrohten Importeur Uniper auch RWE auf der Liste, das offiziell auf die Gelder verzichten wollte und dafür einen öffentlichen Dank Habecks einheimste. Die RWE-Handelstochter Supply & Energy stehe zwar auf dieser Liste, wolle aktuell aber kein Geld, erklärte eine RWE-Sprecherin am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Es handle sich um eine reine Vorsichtsmaßnahme.
Gasumlage: Welche Unternehmen haben Geld beantragt?
- AXPO Solutions AG
- DXT Commodities S.A.
- EWE Trading GmbH
- ENET Energy S.A.
- Gunvor Group Ltd.
- OMV Gas Marketing & Trading GmbH
- SEFE Marketing & Trading Ltd (früher Gazprom Germania)
- Uniper SE
- Vitol SA
- VNG Handel & Vertrieb GmbH
- WIEH GmbH
Die Liste birgt damit einigen Zündstoff. Der Schweizer Energiehändler Axpo sowie das einstmals teils russische Unternehmen Gunvor haben ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2022 einem Bericht des Handelsblatt zufolge um 100 Prozent beziehungsweise um 200 Prozent gesteigert. Der taz-Journalist Malte Kreuzfeld lieferte weitere Beispiele: So habe die Agentur Reuters für den Konzern Vitol für 2021 einen Rekordgewinn von 4 Milliarden Euro vermeldet. OMV aus Österreich habe gar für die ersten sechs Krisen-Monate 2022 ein Rekordergebnis gefeiert.
Die taz hatte allerdings auch eine kleine Relativierung parat: Welches Unternehmen wieviel Geld beantragt hat, sei noch nicht klar, war dort zu lesen. Nach eigenen Recherchen werde aber mehr als 90 Prozent des Geldes auf die vier Unternehmen Uniper, SEFE, Wingas und VNG entfallen. Mehr als die Hälfte dürfte an Uniper gehen. Bei einem mutmaßlichen Umlage-Gesamtvolumen von 34 Milliarden Euro sind aber auch die verbleibenden zehn Prozent wahrlich kein Pappenstiel. Der Grund für die eher laxen Vergaberegeln laut Wirtschaftsministerium: Die Verordnung müsse dem Gleichbehandlungsgrundsatz genügen.
Gas-Umlage: Verbraucherschützer sauer – und sogar die Grünen machen Habeck Druck
Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) drang darauf, die Umlage auf tatsächliche Insolvenzrisiken zu beschränken. „Die Bundesregierung hat klar gesagt, dass die Gasumlage von den Unternehmen nur zur Insolvenzvermeidung in Anspruch genommen werden darf und nicht zur Absicherung von Gewinnen“, erklärte Vorständin Ramona Pop.
Und sogar bei den Grünen regte sich am Montag Widerspruch: Der Gesetzgeber müsse „im Zweifelsfall auch bereit sein, die Kriterien für die Inanspruchnahme nachzuschärfen“, sagte Grünen-Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek in diplomatischem Tonfall. Ob die Ampel-Koalition tatsächlich noch einmal handeln wird – es bleibt abzuwarten. Habeck-Sprecherin Ungrad betonte am Montag lediglich, es liefen Gespräche zu „Zufallsgewinnen“, also über eine mögliche Variante einer Übergewinnsteuer ohne Belastungen für Innovationserfolge wie bei Biontechs Corona-Impfstoff. (fn mit Material von AFP)