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Drohender Lieferstopp für russisches Gas: Keine Zeit für ideologische Vorbehalte

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Von: Prof. Volker Wieland

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Prof. Volker Wieland ist Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie an der Uni Frankfurt. Bis Ende April war der Ökonom zudem Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Prof. Volker Wieland ist Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie an der Uni Frankfurt. Bis Ende April war der Ökonom zudem Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. © Jürgen Heinrich/Maximilian Litzka/Imago

Angesichts des drohenden Lieferstopps für russisches Gas muss die Bundesregierung die geplante Abschaltung der AKWs aussetzen und den Kohleausstieg verschieben, so der scheidende Wirtschaftsweise Prof. Volker Wieland im Gastbeitrag.

Frankfurt - Ein neuer Inflationsrekord von 7,4 Prozent und Russland stoppt Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien. Deutschland könnte als Nächstes dran sein. Spätestens jetzt muss Deutschland alle Hebel in Bewegung setzen, um schnellstmöglich von russischen Energieimporten unabhängig zu werden, und somit einigermaßen gut durch die nächsten Winter zu kommen. Die Regierung muss die Bürger darauf vorbereiten, dass das alle trifft und hart wird. Unabhängigkeit kostet. Sie ist den Bürgern schuldig, pragmatisch zu handeln und keine Option außen vorzulassen - keine Zeit für ideologische Vorbehalte und Bremsertum.

Die Hälfte der Erdgasimporte kommt aus Russland - das meiste per Pipeline. Erdgas wird vor allem zum Heizen und in der Industrie verwendet, spielt aber auch eine wichtige Rolle in der Stromversorgung und zwar insbesondere dann, wenn erneuerbare Energien ausfallen, weil die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht bläst.  

Darauf spekulieren, dass Putin Deutschland nicht schaden will?

Etwas Flüssiggas aus Katar und schnellerer Ausbau von Solar- und Windkraft reicht bei weitem nicht, um den Bedarf zu decken. Der hohe Erdgaspreis in Europa - ein Vielfaches des Preises in den USA – signalisiert wie knapp es ist. Aber viele spüren ihn noch nicht, da sie langfristige Lieferverträge haben. Mit einem Lieferstopp wäre das vorbei.  Die Preise würden weiter steigen und die Inflation anheizen.  Mal ehrlich, wollen wir wirklich darauf spekulieren, dass Putin Deutschland nicht schaden will? Oder sich nicht den besten Zeitpunkt dafür aussucht.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen ab sofort Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Geplante Abschaltung der verbleibenden AKW aussetzen

Ein Maßnahmenpaket ist notwendig, um das Energieangebot zu verbessern. Insbesondere bei der Stromerzeugung gibt es Alternativen. Zuallererst gilt es Fehler zu vermeiden, wie die drei noch betriebenen Kernkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 (immerhin 4300 MW) zum Ende des Jahres mitten im Winter abzuschalten.

Eine klare Perspektive für eine mehrjährige Verlängerung muss her. Das gilt auch für die drei zum Ende des letzten Jahres abgeschalteten Werke. Das kommt nicht kostenlos. Aber solch eine Verlängerung bedeutet nicht, dass man den Ausstieg aus der Kernkraft aufgeben muss, er verschiebt sich nur. Die Regierung sollte jetzt alle notwendigen regulatorischen Schritte vornehmen, bevor es zu spät ist.  

Kohleausstieg verschieben

Das Gleiche gilt für den Kohleausstieg. Er muss verschoben und insbesondere Kraftwerke zur Verstromung von Braunkohle aus der Reserve geholt werden.  Erdgas wird übrigens schon seit mehr als 60 Jahren in Deutschland gefördert, deckt aber derzeit nur noch fünf Prozent des Bedarfs. Das kann man verdoppeln, wenn Schiefergasproduktion und damit die sogenannte Fracking-Technologie. Ehrlich ist es nicht, wenn man das ausschließt und gleichzeitig mehr „gefracktes“ Flüssiggas aus den USA importieren will. All diese Maßnahmen können das Angebot erhöhen, und damit den inflationstreibenden Effekt der Energiepreise reduzieren.

Die hohen Preise dämpfen die Nachfrage. Das ist notwendig und ökonomisch sinnvoll. Denn der Preis sorgt dafür dass das verbliebene Angebot dort eingesetzt wird, wo es den höchsten Nutzen hat. Natürlich muss man die soziale Dimension im Auge behalten, und gegebenenfalls diejenigen unterstützen, die sich das Heizen sonst nicht leisten könnten. 

Gaspreisdeckel führt in die falsche Richtung

Aber flächendeckende Gaspreisdeckel, wie zuletzt von Gewerkschaftschef Bsirske zur Inflationsbekämpfung gefordert, führen in die falsche Richtung. Es wird weniger eingespart und jemand anderes zahlt die Rechnung. Die Regierung finanziert die Subvention entweder über höhere Steuern und Abgaben, dann blecht der Steuerzahler sofort, oder über höhere Schulden. Höhere Schulden heißt entweder höhere Steuern in der Zukunft oder mehr Inflation, um die Schulden wieder zu entwerten. So funktioniert das nicht. Stattdessen sollte die Regierung alles tun, um für Ersatz für russische Gaslieferungen zu sorgen.

EZB: Höchste Zeit zu handeln

Die Inflation zu kontrollieren, ist der Job der EZB. Sie kann die Inflationserwartungen beeinflussen und dafür sorgen, dass die Energiepreissteigerungen nicht dauerhaft zu einer breiten und verfestigten Inflationierung führen, in dem sie schleunigst auf Zinserhöhungen umstellt. Selbst wenn sie den Notenbankzins von -0,5 Prozent auf +1 Prozent erhöhen würde, wäre die reale Verzinsung im nächsten Jahr, bei einer erwarteten Inflationsrate von mehr als drei Prozent, immer noch negativ. Das heißt, die Geldpolitik wäre immer noch sehr expansiv. Auch hier höchste Zeit zu handeln.

Zur Person: Prof. Volker Wieland ist Stiftungsprofessor für Monetäre Ökonomie und Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) an der Goethe-Universität Frankfurt. Wieland hat an der US-Eliteuni Stanford promoviert und arbeitete danach für die US-Notenbank. Zwischen März 2013 und April 2022 gehörte der Experte für Geldtheorie und Geldpolitik dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Zum Monatsende hat Wieland das Gremium verlassen. 

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